Fantasien der Nacht
beschützen wollte. Sie verstand seine Beweggründe nur zu gut.
Sie senkte den Kopf, bis sich ihre weichen Lippen auf seinen schmeichelnden Mund legten, und schmeckte das Salz ihrer eigenen Träne.
Noch lange, nachdem sie außer Sicht war, stand Eric in der Tür, ohne auf den heller werdenden Himmel im Osten zu achten.
„Wenn du noch weitere fünf Minuten so dastehst und Maulaffen feilhältst, wirst du auf ewig dort verharren, mein liebeskranker Freund.“ Roland trat um Eric herum, stieß die schwere Tür zu und besah sich das kaputte Schloss. „Ich nehme an, deine Leute treffen innerhalb der nächsten Stunde ein, um den Schaden zu beheben?“
Eric nickte stumm.
„Um Himmels willen, lass dich nicht so gehen, Mann!“
Eric zuckte zusammen, schaute Roland an und grinste dümmlich. „Ist sie nicht etwas ganz Besonderes?“
Roland verdrehte die Augen und drückte Eric ein Glas in die Hand. „Du bist weiß wie eine frisch gekalkte Wand. Du ernährst dich nicht anständig. Die paar Schlucke, die du dir erlaubst, sind ohne Zweifel süß, Eric, aber sie reichen nicht aus, um deine Lebenskraft zu erhalten.“
Eric kommentierte Rolands reichlich derbe Bemerkung mit grimmiger Miene, auch wenn ihm bewusst war, dass sein Freund recht hatte. Er fühlte sich schwach, und ihm schwindelte. Er leerte das Glas und ging hinüber zur Bar, um es nachzufüllen.
„Sag mir“, begann Roland bedächtig. „Ist bereits eine Entscheidung gefallen?“
„Worüber zum Beispiel?“ Eric nippte an dem Glas und wartete ab.
„Du weißt sehr genau, worüber, Eric. Diese Entscheidung muss getroffen werden. Hat unsere Herzdame diesbezüglich ihre Meinung kundgetan?“
„Du kannst nicht im Ernst annehmen, dass ich erwäge, meinen Fluch an sie weiterzugeben?“
Roland seufzte. „Seit wann betrachtest du Unsterblichkeit als Fluch?“
„Aber genau das ist es.“ Eric knallte das Glas auf die polierte Hartholzoberfläche. „Für mich ist es ein niemals endender Albtraum.“
„Und was für eine Art Albtraum waren die letzten Tage für dich, Eric?“ Eric antwortete nicht darauf, da er wusste, dass Roland in diesem Punkt recht hatte. „Ich war der Meinung, ich hätte dir vor zwei Jahrhunderten in Paris das Leben gerettet, nicht, dich verflucht. Ich ziehe bloß deshalb die Einsamkeit vor, weil ich nicht anders kann, Eric. Meine Chance auf Freude bot sich mir vor Jahrhunderten, und ich habe sie verloren. Ich erwarte keine weitere. Aber du … du wirfst deine fort.“
Eric beugte den Kopf vor und presste seine Fingerspitzen gegen seine Augen. „Ich weiß nicht, ob ich ihr das antun könnte.“ Er hörte Rolands Seufzen und hob den Kopf. „Dennoch habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich habe eingewilligt, mich mit St. Claire zu treffen.“
„Das kann nicht dein Ernst sein.“
„Es ist mein voller Ernst. Es bedeutet Tamara unendlich viel, St. Claire zu zeigen, dass ihr von mir kein Unheil droht. Offenbar ist sie der Meinung, ich könne das bewerkstelligen, indem ich mit dem Mann rede. Selbstverständlich habe ich meine Bedenken, aber …“
„Das Einzige, was durch so ein Treffen bewerkstelligt wird, ist deine Vernichtung. Denk darüber nach, Eric. Ob nun mit Absicht oder nicht, Tamara hat dich in die Höhle des Löwen gelockt, so wie St. Claire es von Anfang an geplant hat. Sobald du drinnen bist, wird es kein Entkommen mehr geben.“
Eric stand reglos da und ließ sich Rolands Worte durch den Kopf gehen. Der Gedanke, dass es sich bei diesem Treffen womöglich um eine Falle handelte, nagte an ihm, seit Tamara das Thema zum ersten Mal zur Sprache gebracht hatte. Natürlich wusste er, dass sie an einer möglichen Verschwörung keinen Anteil hatte. Und wenn es tatsächlich eine Falle war, gab es keine bessere Möglichkeit, Tamara die wahre Natur der Menschen vor Augen zu führen, denen sie vertraute. Vorausgesetzt natürlich, dass es ihm gelang zu entkommen.
Roland sträubte sich, als er seine Gedanken las. „Und nehmen wir an, du beweist dem Mädchen, dass du in diesem wichtigen Punkt richtigliegst, und verlierst dabei dein Leben?“
„Das wird nicht geschehen. Das darf nicht geschehen, um Tamaras willen. Ohne mich wird es für sie so sein wie zuvor. Sie ist ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“
Roland schnitt eine Grimasse. „So wie die Dinge im Augenblick liegen, fürchte ich eher, dass du ihr ausgeliefert bist.“
Eric lächelte. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“
Keith
14. KAPITEL
Als die
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