Farben der Schuld
sind tot. Ihre schwarzen Stecknadelaugen glotzen ins Leere.
***
Wer ist der Junge, dessen Foto bei Georg Röttgen im Wohnzimmer hing? Nicht Röttgens Sohn, nicht ihr Enkel, wenn man den Eltern des ermordeten Priesters glauben darf. Doch das heißt natürlich gar nichts. Vielleicht schützen sie den Ruf ihres Sohnes noch nach seinem Tod, vielleicht haben sie tatsächlich nichts von seinem folgenreichen Fehltritt gewusst oder wollen nicht zulassen, dass ihr Glaube an ihn posthum zerbricht. Vielleicht haben sie den verbotenen Enkel auch längst akzeptiert und dessen Mutter versprochen, das süße Geheimnis zu wahren. Manni ballt die Fäuste. Lügen, Lügen, Lügen. Lügen und Scheinheiligkeit. Im Morgenmeeting hatte er das Foto des Jungen präsentiert und um einen Durchsuchungsbeschluss für die Personalstabsstelle des Erzbistums Köln gebeten. Doch Kühn hatte abgewinkt. Auf welcher Grundlage denn, nur wegen eines Fotos, das einem Kinderfoto des Toten zugegebenermaßen sehr ähnlich sieht? Willst du, dass der Staatsanwalt uns auslacht? Bring mir was Handfestes, dann sehen wir weiter.
Manni springt auf, läuft über den Flur zu Meuser, der eben im Begriff ist, ein halb Englisch, halb Deutsch geführtes Telefonat zu beenden.
»Das war Amsterdam«, sagt er zu Manni, nachdem er aufgelegt hat. »Röttgens Schwester ist ledig und kinderlos. Von einem Neffen weiß sie nichts.«
»Sagt sie.«
»Der niederländische Kollege meint, sie hätte das für seinen Geschmack ein wenig zu eifrig behauptet, er konnte ihr aber nicht beweisen, dass sie lügt. Andererseits lebt sie ja schon seit 16 Jahren in Amsterdam und hat seitdem keinen Kontakt zu ihrer Familie mehr.«
»Warum? Hat der Kollege das auch gefragt?«
»Deutschland war ihr zu engstirnig, hat sie gesagt.«
»Deutschland oder ihre saubere katholische Familie?«
Meuser wiegt den Kopf hin und her. »Vielleicht eher das Letztere. Sie ist aus der Kirche ausgetreten, reist einmal im Jahr nach Indien und leitet in Amsterdam sehr erfolgreich ein Yogazentrum.«
Yoga und Indien, nun denn. Auch das ist eine Art Religion, kann zumindest zu einer werden. Einer Ersatzreligion mit fremden Göttern, die man genauso fanatisch verehrt. Das ist auch etwas, das er an Sonja schätzt. Sie macht ihre Sachen, ohne groß drüber zu reden, ohne irgendwen missionieren zu wollen. Vegetarisch kochen, Yoga, Massage, ihr Studium. Und genauso wird sie auch in Sachen Schwangerschaft verfahren. Sie wird ihre Entscheidung treffen und durchziehen. Still und effizient. Sie wird nicht ewig auf seinen Anruf warten. Wieder spürt er diesen Druck im Magen. Als ob irgendwo eine Zeitbombe tickt. Als ob er die hört und trotzdem einfach weitergeht, so fühlt sich das an.
»Wo ist die Krieger?« Kühn steckt den Kopf zur Tür rein. Die getupfte Krawatte spannt über seinem Preisboxerhals, auf seiner Stirn perlt Schweiß. Ihm auf den Fersen klebt der externe Ermittler aus Düsseldorf, der vage lächelt, als wüsste er etwas, das er noch nicht verrät.
»Sie wartet vor Ort auf die KTU«, sagt Manni. »In der Wohnung der Sollners.«
»Wer hat das angeordnet?«
»Was soll sie denn sonst tun? Das Mädchen, das nachweislich mit der Täter-DNA in Berührung kam, ist verschwunden. Es geht darum, schnell zu sein.«
Kühn wischt sich Schweiß von der Stirn und betrachtet Manni mit dem nachsichtigen Blick eines enttäuschten Pädagogen, der entschlossen ist, die Hoffnung auf eine Läuterung seines Schutzbefohlenen noch nicht zu begraben.
»Du tust, was die Krieger sagt, hm? Lässt dich von ihr herumkommandieren .«
Manni starrt dem Soko-Leiter in die Augen. »Ich tu, was ich für angemessen halte.«
»Ah ja?« Kühn grinst, trollt sich dann aber, vielleicht weil der Externe in seinem Rücken sich räuspert und weiterdrängt.
Ich werde aussagen, dass es meine Schuld war, dass die Krieger allein in das Haus gegangen ist, beschließt Manni. Dass ich ihre Nachricht zu spät erhielt, weil ich mein Handy nicht abgehört habe. Selbst wenn es mich die nächste Beförderung kostet, werde ich das tun. Weil ein Schleimscheißer wie Kühn nicht gewinnen darf.
Er verabredet mit Meuser, dass der Kollege sich um die Herausgabe der Telefondaten von der Telefonseelsorge bemüht und sie mit denen von Georg Röttgen, Jens Weiß und den Sollner-Frauen vergleicht, schnappt sich selbst einen Dienstwagen. Er sollte direkt zu der Adresse fahren, wo Judith den Vergewaltiger von Beatrice Sollner vermutet, doch sie ist nicht allein, hat
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