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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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ernsthaftes Thema. In vielen Diskotheken und Nachtclubs wird ausdrücklich davor gewarnt.«
    Ekaterina nickt. »Die große Gefahr bei GBL ist die Überdosierung. Die passiert leicht – und kann tödlich sein. Vor allem im Zusammenhang mit Alkohol.«
    Tödlich. Judiths Hände sind eiskalt. Sie schiebt sie in die Manteltaschen.
    »Kannst du einen früheren Fall in eurem Computer checken, Ekaterina, etwa zwei Jahre alt?«
    Die Rechtsmedizinerin scheint ihre Anspannung zu spüren. »In meinem Büro«, sagt sie, steht auf und läuft los, erstaunlich schnell, wie eine Athletin. Der hohle Klang ihrer Stiefelabsätze hallt von den Wänden wider.
    »Jana Schumacher«, sagt Judith, als sie in Ekaterinas Büro vor dem Computer stehen. »Ein 16-jähriges Mädchen.«
    Für eine Weile ist das Klicken der Tastatur das einzige Geräusch.
    »Hier«, sagt die Rechtsmedizinerin schließlich. »Ein Suizid.«
    »Ist das sicher?«
    »Von Fremdeinwirkung steht hier nichts.«
    »Gibt es Hinweise auf eine Schwangerschaft? Oder eine Vergewaltigung? Hat man Janas Blut auf Drogen oder GBL untersucht?« Unwillkürlich beugt Judith sich näher zum Bildschirm.
    »Keine Drogen. Aber sonst?« Ekaterina schüttelt den Kopf.
    »Und wenn man sie exhumieren würde?«
    »Es war nicht viel übrig von ihr. Willst du die Fotos sehen?«
    »Schon gut.«
    Judith richtet sich auf, starrt aus dem Fenster. Versucht sich vorzustellen, wie das ist. Willenlos sein. Völlig enthemmt. Ohne klare Erinnerung. Für die betroffenen Mädchen sei eine Vergewaltigung unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen oft noch schwerer zu verkraften, noch traumatischer und mit noch mehr Scham behaftet, als eine Vergewaltigung ohne Drogen, hat Cora erklärt. Weil sie sich allenfalls bruchstückhaft erinnern können. Weil sie damit leben müssen, dass sie sich nicht wehrten, vielleicht sogar mitmachten oder, wie die Täter gern behaupten, es genossen. Weil sie akzeptieren müssen, dass sie tatsächlich vollkommen willenlos waren.
    Judith dreht sich zum Fenster und starrt auf den Melatenfriedhof herunter. Vielleicht hat das Mädchen Bat wirklich recht, vielleicht hat jemand ihre Freundin Jana vergewaltigt und dann vor den Zug gestoßen, damit sie ihn nicht verraten kann und vielleicht ist dieser jemand tatsächlich der Musikproduzent Lars Löwner. Aber worin besteht dann der Zusammenhang mit den Morden an Georg Röttgen und Jens Weiß? Bilder wirbeln durch Judiths Kopf. Ihr Vater im Schnee, ein erfrorener Träumer. Erri und ihr eigenes, jüngeres Ich, wie sie Hand in Hand durch den Regen tänzeln oder singend zu ihrem See trampen. Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn jemand sie betäubt und vergewaltigt hätte, wie hätten sie das überlebt?
    Judith tritt ans Fenster und blickt auf die Gräber des Melatenfriedhofs, zwischen denen nun, am Tag, einzelne dunkel gekleidete Menschen spazieren. Wie zart und verletzlich das Gruftimädchen wirkte, wenn sie von ihrer toten Freundin sprach. Wie andächtig sie zu dem Steinengel aufschaute. Das Glück scheint so leicht, so selbstverständlich, so ewig, wenn man jung ist, und trotzdem kann es so schnell und endgültig zerbrechen.
    »Ah, das ist interessant«, sagt Ekaterina Petrowa hinter ihr. »Das willst du sicher wissen.«
    »Was, Ekaterina?« Judith wendet sich vom Fenster ab.
    »Die DNA-Analysen von gestern sind da.« Erneut klickt die Rechtsmedizinerin mit der Maus, den Blick konzentriert auf den Bildschirm gerichtet, wird dann plötzlich ganz starr und atmet scharf ein.
    »Von allen Proben, die ich gestern weggeschickt habe, gibt es nur eine Übereinstimmung mit der Täter-DNA«, sagt sie langsam. »Ich hatte eigentlich nur pro forma um diesen Abgleich gebeten, aber das Ergebnis ist völlig eindeutig.«
    »Was?«, fragt Judith scharf.
    »Der Mann, dessen DNA wir an den Leichen von Jens Weiß und Georg Röttgen und an Josef Blochs Jacke sichergestellt haben, hat auch Beatrice Sollner vergewaltigt«, sagt Ekaterina Petrowa.
    Sie erwacht auf dem Wohnzimmersofa, ihr Nacken ist steif, jeder Knochen tut weh. Ruth schaut auf die Wanduhr. Bis kurz vor vier hat sie hier gewartet, dass ihre Tochter noch heimkommt. Jetzt ist es beinahe neun. Die Erschöpfung muss sie schließlich überwältigt haben. Doch obwohl sie tatsächlich ein paar Stunden am Stück geschlafen hat, fühlt sie sich nicht erholt, im Gegenteil. Sie fühlt sich, als hätte sie jemand bewusst-los geschlagen und nun sei sie aus einer Ohnmacht erwacht und die Schmerzen sind nur noch schlimmer

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