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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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zwei Wochen. Irgendwo an einem x-beliebigen Gleis, vor einen x-beliebigen Zug kann sie sich werfen. Und niemand kann sie daran hindern, falls sie wirklich dazu entschlossen ist.
    Wo ist Beatrice? Wer ist ihr Vergewaltiger? Das Studio Lars Löwners ist leer, zwei Streifenbeamten wachen dort nun. Hat er geglaubt, das Mädchen sei tot, als er sie bewusstlos liegen ließ? Weiß er bereits, dass Beatrice noch lebt und wir nun alles daransetzen, sie für immer zum Schweigen zu bringen? Hat er sie schon in seiner Gewalt? Wir müssen sie finden. Schnell.
    Sofort. Judith zündet sich eine Zigarette an, raucht ein paar hastige Züge, tritt sie dann wieder aus. Ihre Zuversicht, Beatrice wohlbehalten zu finden, schwindet rapide, der Tabakgeruch bringt die Erinnerung an das Mädchen überdeutlich zurück. Die Andacht in ihrem Gesicht. Die Verletzlichkeit.
    »Fahren wir«, sagt Judith und schwingt sich auf die Rückbank des Streifenwagens.
    »Wohin?« Der Fahrer, ein blutjunger Polizeimeister, dreht sich zu ihr herum.
    Ja, wohin? Direkt zur Privatwohnung von Lars Löwner oder zuerst zu dem Freund, obwohl der am Telefon behauptet, Beatrice sei nicht bei ihm? Judith starrt auf das Abbruchhaus, in dem das Mädchen vergewaltigt wurde. Nackter Beton, Verfall, besudelte Pappe. Es gibt keine Worte für das Entsetzen, es gibt keinen Trost, allenfalls Linderung vielleicht.
    »Schickt zwei Kollegen zu Löwners Wohnung, unauffällig. Die sollen checken, ob er sich dort aufhält und dann abwarten und aufpassen, dass er nicht abhaut«, befiehlt sie und nennt dem Streifenkollegen die Adresse Fabian Benders.
    Blaulicht zuckt in den asphaltgrauen Morgen. Die Nacht mit Karl scheint unendlich lange her, unwirklich, wie aus einem anderen Leben. Sie will das Mädchen finden. Sie will, sie muss. Sie will, dass sie lebt.
    »Meine kleine Schwester ist auch Grufti«, sagt der Polizeimeister, der den Wagen lenkt. »Steht auch auf Friedhöfe und Grablichter und so.«
    Der Polizeifunk knattert los, unwillkürlich hören sie alle hin. Angespannt. Sprungbereit.
    »Die verklären den Tod, aber die bringen sich deshalb nicht gleich um«, sagt der Polizeimeister, als klar ist, dass es in Sachen Beatrice Sollner nichts Neues gibt. »Die sehen zwar ziemlich wild aus, aber sie sind in der Regel sehr friedlich und Gewalt mögen sie gar nicht.«
    Judith nickt. Es ist nett von ihm, das zu sagen und sie würde ihm gerne glauben. Da war ein Geräusch auf dem Friedhof, kurz bevor sie das Mädchen zum Auto brachte. Schritte vielleicht, sie hat Angst bekommen. Hat jemand sie und das Mädchen beobachtet oder hat sie sich das wieder einmal nur eingebildet? War dieser jemand der Täter, ist er ihnen gefolgt, ist das Mädchen ihm, als sie wieder auf die Straße lief, geradewegs in die Arme gelaufen? Hör auf, dir Räuberpistolen auszudenken, KHK Judith Krieger, reiß dich zusammen. Beatrice wollte ihrer Mutter nicht begegnen. Die Chancen sind gut, dass sie zu ihrem Freund geflohen ist und sich dort verkriecht. Dass er für sie lügt, wenn Ruth Sollner anruft.
    Das Mietshaus, in dem Fabian Bender lebt, liegt in der Nähe des Uniturms an der Luxemburger Straße. Verkehr brandet unablässig vorbei, selbst im Treppenhaus hört man ihn noch überlaut.
    »Kommen Sie wegen der Miete?«, fragt die dickliche Frau im Parterre, die ihnen aufgemacht hat, weil Fabian Bender selbst nicht reagiert. »Seit seine Mutter gestorben ist, ist er ständig im Rückstand. Arbeitet nix und wie der immer aussieht …«
    Sie lassen sie stehen, laufen hoch ins Dachgeschoss. Das Treppenhaus riecht nach Bratfett und Bohnen. An der Wohnungstür Fabian Benders klebt das Bild eines Totenkopfes.
    »Polizei, bitte öffnen Sie!«
    Wie oft hat sie diesen Satz in den letzten Jahren schon gesagt, vor wie vielen Türen? Und nie kann man sicher sein, was sich dahinter verbirgt. Noch einmal drückt sie auf die Klingel, lange, schreckt fast zurück, als die plötzlich aufgerissen wird.
    »Wwwas?« Der schlaksige, hochgewachsene Sprecher ist beinahe genauso bleich wie der Totenkopf an seiner Tür. Blauschwarze klebrige Haarsträhnen fallen ihm in die Stirn. Ohren, Lippen, Nase und Augenbrauen sind von zahllosen Piercings zerlöchert.
    »Fabian Bender?«
    Er nickt. Fingert nervös an den Taschen seiner Lederhose. »Sorry, ich hab gepennt.«
    »Wir suchen Beatrice Sollner, ist sie hier?«
    »Bat?« Er reißt die Augen auf, die Metallkette, die von seiner rechten Augenbraue zum Nasenflügel reicht, spannt

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