Farben der Schuld
gefährlich.
»Sie ist gestern vergewaltigt worden. Es besteht die Möglichkeit, dass sie suizidgefährdet ist.«
»Aber …«, er schüttelt den Kopf, wirkt noch eine Spur blasser. »Wir waren verabredet. Im Club. Sie ist nicht gekommen …«
»Gestern Nacht? Haben Sie seitdem etwas von ihr gehört?«
Er starrt Judith an. Seine Augen liegen tief in den Höhlen. Als ob er seit Wochen kaum geschlafen hat.
»Wir schauen uns mal um, ja?«
Judith wartet seine Antwort nicht ab, drängt mit den beiden Streifenkollegen ins Innere der Wohnung. Sie besteht aus drei kleinen Zimmern, Küche und Bad. Es riecht schlecht hier drin, ungelüftet, nach schalem Alkohol, Essensresten, überquellenden Aschenbechern und Farbe. Im größten Zimmer, das wohl einmal als klassisches Wohnzimmer diente, stapeln sich Umzugskartons. Ein weiteres Zimmer ist leer und jemand hat begonnen, die Blümchentapete mit schwarzer Farbe zu überstreichen. Durch die geschlossenen Fenster dringt der Motorenlärm von der Straße.
»Ich renovier grad«, nuschelt Fabian Bender.
Judith nickt, inspiziert auch das letzte Zimmer der Wohnung, von der Einrichtung her ist dies ganz offensichtlich Fabians ureigenes Reich. Sie starrt den Totenkopf auf dem niedrigen Tisch an, die Grablichter, die schwarzen Wände, die Berge ungewaschener schwarzer Klamotten am Fußende des Betts. Das Mädchen ist nicht hier, sie hat sich geirrt. Sie dreht sich herum, hebt den Kopf, sieht Fabian Bender in die Augen. Ihre Knie drohen plötzlich nachzugeben, Blut rauscht in ihren Ohren. Sie hat zu wenig geschlafen und außer einer Orange nichts gegessen, und jetzt kommt noch die Enttäuschung dazu. Reiß dich zusammen, KHK Krieger. Komm schon. Mach jetzt nicht schlapp.
»Haben Sie irgendeine Idee, wo Ihre Freundin sein könnte?«
Fabian Bender schüttelt den Kopf. Wie in Trance. Als habe er Schwierigkeiten zu verstehen. Oder als würde er gleich anfangen zu weinen.
»Sie will hier doch einziehen«, sagt er schließlich. »Sie und Micke und Skunk. Wir sind doch eine Familie. Es war alles gut.«
***
Das Gebäude, in dem der Musikproduzent Lars Löwner eine Eigentumswohnung besitzt, ist einer dieser Yuppieneubauten am südlichen Rheinhafen. Viel Glas, farbig akzentuierte Fassaden, große Balkone und Dachterrassen mit immergrünen Protzkübelpflanzen. Das Polizeiauto vor dem Eingang wirkt eindeutig deplatziert. Trotzdem gafft niemand von den Balkonen. Was wohl daran liegt, dass hier mitten an einem Werktag kaum jemand zu Hause ist. In dieser Noblesse lebt man ohne Kinder und Partner, arbeitet lange und betrachtet das Rheinpanorama, für das man viel Geld hingelegt hat, allenfalls am Wochenende mit einem gepflegten Glas Weißwein oder Caipirinha in der Hand.
Manni parkt hinter dem Streifenwagen, steigt aus der Schrottgurke, mit der ihn der Fuhrpark am Morgen beglückte, und checkt das Gelände. Alles totenstill. Von Judith Krieger und den Uniformierten ist nichts zu sehen. Ist dieser Popmusikheini der Täter, den sie so verzweifelt suchen? Und wenn ja, was ist dann mit dem Jungen? Röttgens Jungen, den angeblich niemand kennt. Einen nach dem anderen hat er mit dem Foto abgeklappert: den Kardinalsboten, Röttgens Nachfolger in Klettenberg, den Gemeindepfarrer von Sankt Pantaleon. Sogar bei Nora Weiß hat er es versucht. Der Erfolg war gleich null und ein weiterer Streit mit Kühn, der das Foto des Jungen keinesfalls an die Presse geben will, macht Mannis Laune nicht gerade besser.
Die Eingangstür zu Löwners Haus gibt auf leichten Druck nach. Löwner wohnt ganz oben, Manni nimmt die Stufen im Laufschritt. Vor der Wohnungstür stellt sich ihm ein Polizeimeister in den Weg. Manni winkt mit seiner Dienstmarke und tritt in einen geschniegelten, mit coolem dunklen Parkett ausgelegten Flur. Auf halber Strecke kommt ihm die Krieger entgegen. Blass und mit diesem verbissenen Blick, den sie immer hat, wenn sie glaubt, kurz vor einem Durchbruch zu stehen.
Sie stoppt abrupt, starrt ihn an.
»Mein Gott, siehst du fertig aus, was ist denn passiert?«
»Gleichfalls«, er ringt sich ein Grinsen ab. »Bist du schon durch hier?«
»Ich muss nur mal aufs Klo.«
»Warte mal, Judith, ich glaub nicht, dass Löwner der Mann ist, den wir suchen, wir …«
»Ich will das Mädchen finden. Lebend.« Sie verschwindet im WC, lässt ihn einfach stehen.
Er geht weiter in ein bestimmt 50 Quadratmeter großes Wohnzimmer mit hoher Decke und halb offener Küche. Alles hier ist teuer: der Flachbildfernseher,
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