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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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die Sache im Griff, also macht er noch einen Abstecher in die Kardinal-Frings-Straße, vorbei an Röttgens Wohnung, direkt vor den Eingang des Priesterseminars. Es ist keine rationale Entscheidung, nicht wirklich zu begründen. Eine diffuse Wut treibt ihn dazu, Wut auf Kühn, Wut auf die Kirche. Auf dieses ganze selbstgefällige System.
    Er steigt aus, lehnt sich an den Wagen, betrachtet die hohe Mauer, die das Gelände abschirmt, wählt die Telefonnummer des Kardinalsboten Benedikt Ackermann, der bislang nicht einmal die exakte Adresse seines Büros preisgeben wollte.
    »Ich habe Neuigkeiten, die ich Ihnen gerne persönlich mitteilen würde«, sagt er, sobald Ackermann sich meldet. »Ich stehe direkt vor dem Priesterseminar.«
    Er glaubt ein Zögern in Ackermanns Stimme zu hören, das darauf hindeutet, dass der Kardinalsbote diese Neuigkeiten lieber nicht hören möchte, doch bereits zehn Minuten später holt ihn ein bleichhäutiger, grau-schwarz gekleideter Priesterschüler ab und geleitet ihn am Pförtner vorbei in einen Besprechungsraum im Seitentrakt, versorgt ihn mit Kaffee und heißt ihn zu warten.
    Zeit vergeht. Kostbare Zeit. Draußen im Park krakeelt eine Elster. Ein leidender Holzjesus linst unter gesenkten Lidern auf ihn herab. Manni steht auf, sieht in den Park, denkt an die Goldkäfer, die dort angeblich irgendwo herumkrabbeln, eine bedrohte Art, auf deren Existenz die Priester so stolz sind und die sie deshalb schützen. Aber natürlich ist ein Insekt etwas anderes als ein Kind.
    »Herr Kommissar, guten Morgen!« Benedikt Ackermann rauscht herein, dicht gefolgt von dem rundlichen Regens und nach einer Runde Händeschütteln und Höflichkeiten gruppieren sie sich um den Tisch.
    »Es gibt Unfälle«, sagt Manni langsam. »Priester, die sich trotz ihres Gelöbnisses zur Enthaltsamkeit mit einer Frau einlassen. Und manchmal ist die Konsequenz einer solchen Liaison ein Kind.«
    Die beiden Männer mustern ihn. Schweigend.
    »Es gibt Selbsthilfegruppen von Frauen, die Priester lieben, teils sogar mit ihnen zusammenleben, als sogenannte Haushälterin. Es gibt ein paar wenige ehemalige Priester, die sich für ihre verbotene Familie entschieden haben und auspacken. Es gibt auch ein paar engagierte Reportagen zu diesem Thema.«
    Ackermann lächelt. Der Regens guckt aus dem Fenster.
    »Die Kirche zahlt ihren verbotenen Kindern Alimente«, fährt Manni fort. »Manchmal zumindest. Und wenn es so ist, dann wird das auch irgendwo registriert. In der Personalstabstelle zum Beispiel. Ist das im Falle von Georg Röttgen so?«
    »Was wollen Sie? Mit Schmutz werfen?« Ackermann macht Habichtaugen. »Bei unserer letzten Begegnung haben Sie noch behauptet, unser ermordeter Kollege sei sterilisiert.«
    »Das muss ja nicht ausschließen, dass er zuvor ein Kind gezeugt hatte.«
    Ackermann nickt, lässt Manni nicht aus den Augen.
    Er ist gut, denkt Manni widerwillig. Beinahe perfekt. Er legt das Foto des Jungen auf den Tisch, glaubt Erschrecken im Gesicht seines Gegenübers zu lesen, doch vielleicht ist das Wunschdenken, denn sofort hat der Priester sich wieder im Griff.
    »Ein hübscher Junge«, sagt er. »Und weiter?«
    »Georg Röttgen war sein Vater«, sagt Manni.
    »Das wissen Sie sicher?«
    »Ich weiß das und Sie wissen es auch.« »Tatsächlich? Ich glaube, da liegen sie falsch.«
    ***
    Ruth Sollners Angst haftet an ihr, dringt in jede Pore, zäh und schwarz wie altes Öl. Ruth Sollners Angst und ihre Schreie, als sie am Terrarium des Chamäleons die toten Heuschrecken fand. Nur mit großer Mühe ist es Judith gelungen, die Frau wieder einigermaßen zu beruhigen. Sie davon zu überzeugen, dass es durchaus Hoffnung gibt, ihre einzige Tochter lebend zu finden.
    Gibt es Hoffnung? Die Fahndung nach Beatrice läuft. Den Ort ihrer Vergewaltigung sichern Kriminaltechniker. Blut, Sperma, Zigarettenkippen, leere Bierdosen. Zwei Tippelbrüder haben bestätigt, am gestrigen Morgen ein Punkmädchen in dem leer stehenden Gebäude gesehen zu haben. So weit also hat die Erinnerung des Mädchens offenbar korrekt funktioniert.
    Ich hätte darauf bestehen müssen, sie bis in die Wohnung zu begleiten, denkt Judith. Ich hätte dafür sorgen müssen, dass ihre Mutter sich um sie kümmert. Doch genau das hatte Beatrice Sollner auf keinen Fall gewollt und ohnehin ist es müßig, sich damit zu quälen. Wenn das Mädchen vor einen Zug springen will, wird sie das tun. Jetzt gerade in diesem Moment kann sie springen, oder morgen, übermorgen, in

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