Farben der Schuld
wie Meuser.
»Weshalb sind Sie hier?«, fragt Nora Weiß sehr leise.
Manni räuspert sich. »Es gibt eine Übereinstimmung, das heißt, es gibt einen Mann, auf den die Beschreibung Ihres Mannes zu passen scheint.«
»Was …?«
»Aber wir sind nicht ganz sicher. Deshalb müssten wir Sie bitten, mit uns zu kommen, und diesen Mann zu identifizieren.«
»Ist er…« Nora Weiß' Stimme versagt.
»Er ist tot. Er trägt keine Papiere bei sich. Bislang sind wir davon ausgegangen, dass dieser Mann ein katholischer Priester ist, weil er …«
»O mein Gott!« Ein tonloser Schrei. Mit hölzernen Bewegungen steht Nora Weiß auf und läuft Richtung Diele. Sie sind direkt hinter ihr, doch das scheint sie gar nicht zu registrieren. Wie ferngesteuert marschiert sie in ein Schlafzimmer mit gigantischem Doppelbett und schiebt eine der Türen des Wandschrankes auf.
»Seine Soutane«, murmelt sie und fingert immer hektischer durch die akkurate Ordnung. »Seine Soutane. Sie muss doch hier sein. Warum finde ich die denn nicht?«
Ralf Meuser tritt neben sie, legt ihr ganz sanft die Hand auf den Arm.
»Frau Weiß, was ist Ihr Mann von Beruf?«
»Er ist Arzt. Chirurg.«
»Und er besitzt dennoch eine Soutane?«
»Für Karneval.« Nora Weiß schüttelt ihn ab, wühlt sich durchs nächste Fach. »Sie muss doch hier sein«, flüstert sie stur.
Sie geben ihr noch eine Minute. Eine Minute der irrwitzigen Hoffnung, dass dieser Mord ihr Leben verschonen wird, bevor sie sie mit sanfter Gewalt von dem Schrank wegziehen.
»Jens hat sich seit gestern nicht mehr bei mir gemeldet«, erklärt sie zwischen Weinkrämpfen. »Das war ja nicht weiter beunruhigend, aber er ist heute nicht zur Arbeit gekommen, obwohl wichtige Operationen anstanden. Die Klinik hat mehrere Nachrichten hinterlassen. Sogar bei mir haben sie es probiert. Aber das habe ich erst hier in Köln bemerkt, ich hatte mein Handy ja ausgeschaltet, wegen des Flugs.«
Sie verstummt abrupt, spannt die Schultern an.
»Ich will ihn sehen. Jetzt. Sofort. Vielleicht ist dieser Mann, von dem Sie sprechen, ja gar nicht Jens, vielleicht gibt es ja eine Erklärung und die Soutane …«
Niemand sagt etwas auf dem Weg zur Rechtsmedizin. Niemand sagt etwas, weil es in diesem Schwebezustand zwischen Gewissheit und Hoffnung nichts weiter zu sagen gibt.
»Bitte …«, sagt Nora Weiß im Rechtsmedizinischen Institut. »Bitte, ich …«
Aber dann lässt sie sich doch von Karl-Heinz Müller in den Leichenkeller führen. Hölzern, steif. Wieder geben sie ihr Zeit, stehen in respektvollem Abstand hinter ihr, sehen einfach zu, wie der Rechtsmediziner das grüne Tuch vom Kopfende der Stahlbahre zieht, wie die Hoffnung in Nora Weiß' Augen erlischt, wie sie nach einer endlos scheinenden Zeitspanne des Schweigens schließlich zum Kopfende der Bahre tappt und ganz zaghaft das geflickte, kalte Gesicht liebkost.
Man will nicht teilhaben an solch einer intimen Situation. Will es nicht, muss es trotzdem, lernt es durchzustehen und bleibt doch immer aufs Neue hilflos, denkt Manni. Als hätte man solch eine Situation noch nie erlebt. Stumm führen sie Nora Weiß schließlich zum Auto und fahren sie zurück in ihre Wohnung. Sie weint jetzt nicht mehr, wirkt erstarrt, in sich verkapselt.
»Frau Weiß, war Ihr Mann gläubig?«, fragt Manni, als sie wieder in der Wohnküche sitzen.
Sie schüttelt den Kopf, starrt an ihm vorbei ins Leere.
»Was könnte er an der Kirche gewollt haben?«
»Ich weiß es nicht«, sagt sie tonlos. »Vielleicht war es ein Scherz. Vielleicht musste er mal.«
Wie der Zeuge, denkt Manni. Wie der Zeuge, dessen Aussage so gut wie gar nichts bringt.
Sie warten in Nora Weiß' Wohnung, bis eine Freundin von ihr gekommen ist. Verabschieden sich für die Nacht und trotten zu ihren Autos. Es ist kalt geworden und während Manni seine Schritte beschleunigt, kann er seinen Atem sehen. Er schließt den Dienstwagen auf, lässt sich auf den Fahrersitz plumpsen. Er überlegt, ob er einfach nach Hause oder zu Sonja fahren soll, ist aber plötzlich selbst für einen Anruf bei ihr zu müde. Sitzt einfach da und sieht zu, wie ein Rentner mit seinem Dackel Gassi geht, dessen Geschäft sorgfältig in Plastik verpackt und zu einem Mülleimer trägt, während sein Hirn versucht, die neuen Fakten zu ordnen. Ein Arzt, kein Priester ist das Opfer, die aufgescheuchten Kollegen und Kirchenoberen können sich wieder beruhigen. Sie haben es nicht mit einem Kirchenhasser zu tun. Vielleicht musste Jens Weiß
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