Farben der Schuld
sterben, weil er einen Kunstfehler gemacht hat, vielleicht hatte er eine Geliebte oder er hat einen Konkurrenten oder die Pharmamafia gegen sich aufgebracht. Aber warum dann diese Botschaft, Mörder, warum dieser Tatort und die Inszenierung des toten Weiß als Jesusimitation? Ist es wirklich nur Zufall, dass es im Inneren von Sankt Pantaleon einen mit einer Lanze mordenden Engel gibt?
Der Rentner stapft in einen Vorgarten, zieht den sich sträubenden Dackel hinter sich her, gibt dann auf, bückt sich und redet auf seinen Vierbeiner ein, bis sie Seite an Seite im Haus verschwinden. Manni steckt den Zündschlüssel ins Schloss, doch bevor er ihn rumdrehen kann, fiept wieder sein Handy.
»Der heilige Albanus«, intoniert Kollege Meuser. »Ich hab hier gerade noch was in den Unterlagen entdeckt, die ich vorhin nur überflogen hatte.«
»Nämlich?«
»Der heilige Albanus war gar kein Priester, er hat sich nur mit einer Priesterkutte verkleidet.«
»Sag jetzt nicht, der hat Karneval gefeiert.«
»Sie wurden verfolgt. Von den Römern. Weil sie Christen waren«, sagt Meuser humorlos. »Albanus hat mit dem Priester die Kleidung getauscht und sich an seiner Stelle enthaupten lassen – um ihn zu retten.«
2. Teil
»O käme doch, was ich begehre
und gäbe Gott, was ich erhoffe!«
Hiob 6, 8
Er kommt nicht mehr. Sosehr sie auch wartet und hofft und betet. Zuerst hat sie noch Erklärungen für ihn erfunden. Harmlose Entschuldigungen, schließlich weiß sie ja, wie beschäftigt er ist. Doch dann sind die Tage zu Wochen geworden. Einsam, schwarz, ihre Hoffnung zerfressend. Wenn sie ihn anruft, meldet er sich nicht. Wenn sie ihm schreibt, reagiert er nicht. Und als sie eines Nachts weinend bei ihm geklingelt hat, blieb alles dunkel. Ein anderes Mal hat sie ihn auf der Straße abge-passt. Die vertraute Gestalt, das geliebte Gesicht. Unendlich traurig hat er sie angesehen. Es geht nicht mehr, ich kann das nicht mehr, das weißt du doch. Aber ich, hat sie geschluchzt, was ist mit mir? Ich liebe dich doch, brauche dich mehr denn je, es war doch alles gut! Sanft, ganz sanft, fast so wie früher, hat er ihr da die Hände auf die Schultern gelegt und sie an sich gezogen, so dass sie beinahe wieder zu hoffen begann. Doch dann hat er sie von sich gestoßen. Quäl uns nicht weiter, hat er gesagt. Mach es mir nicht so schwer. Bitte geh.
Donnerstag, 23. Februar
Ein leises Stöhnen zuerst. Alterslos, geschlechtslos. Ruth Sollner presst den Telefonhörer fester ans Ohr und fixiert die Kerze, die vor ihr steht. Es ist unmöglich vorherzusehen, was während einer Schicht in der Telefonseelsorge geschehen wird. Jetzt, weit nach Mitternacht, wird es oft ruhig, doch in dieser Nacht schafft sie es nicht einmal, sich neuen Tee zu kochen oder auf die Toilette zu gehen, weil ein Anruf direkt auf den nächsten folgt. Als ob mit dem Beginn der Fastenzeit auch das Leid zu den Menschen zurückgekommen ist, oder zumindest das Bedürfnis es mitzuteilen.
»Ja, bitte?«, sagt Ruth. Freundlich, einladend.
Wieder ein Stöhnen. Rasselnder Atem.
Eine Frau, weiß Ruth plötzlich, noch nicht alt. Wahrscheinlich liegt sie im Bett, schafft es nicht mehr aufzustehen. Von Kummer gebeugt. Oder von einer Krankheit. Ruth schließt die Augen, glaubt am anderen Ende der Telefonleitung die Bewegungen der Anruferin unter einem Federbett zu hören.
»Aids, ich habe Aids, und das Kind ist noch klein.«
O Gott, was soll man auf solch eine Offenbarung bloß erwidern, überlegt Ruth. Aber dann schafft sie es in der folgenden halben Stunde doch irgendwie, die Anruferin ein winziges bisschen zu ermutigen. Etwas Religiöses will die Frau zum Abschluss des Gesprächs noch hören, ein Wort Gottes, das Hoffnung gibt, und wie schon manchmal in den sehr seltenen Fällen, wenn eine solche Bitte an sie herangetragen wird, wählt Ruth Psalm Nummer 23, ihren persönlichen Lieblingspsalm.
»Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln … Auch wenn ich wandern muss in finsterer Schlucht, ich fürchte doch kein Unheil …«
Ruth spricht langsam, aus dem Gedächtnis. Verabschiedet sich dann von der Anruferin und atmet tief durch, froh, dass das Telefon nicht sofort wieder zu klingeln beginnt. Die Kerze flackert im Luftstrom ihres Atems. Sie knipst die Schreibtischlampe wieder an, die sie zu Beginn des Anrufs ausgeschaltet hatte, um sich besser aufs Hören zu konzentrieren, steht auf und geht endlich zur Toilette. Das Handwaschbecken und der Spiegel glänzen, ein leichter
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