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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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wohl hautnah miterlebt hat.«
    »Dein Vater ist gestorben?« Manni starrt sie an.
    »Mein leiblicher. Er hat sich schon 1968 vom Acker gemacht. Er wollte die Welt retten und ist dann in Nepal erfroren.«
    »Bitter.«
    »Eigentlich war mir das immer egal. Ich kann mich ja nicht mal an ihn erinnern.«
    »Er hat euch sitzen lassen.«
    »Ja, klar.« Warum eigentlich klar, was redet sie da?
    Ein Foto fällt ihr ein, ein Schwarzweißbild, das sie als Dreijährige auf den Knien ihres Vaters zeigt. Sie trägt ein Sonntagskleidchen mit hellem Kragen, an das sie sich ebenso wenig erinnern kann wie an diese Situation. Aber es hat sie gegeben, jemand hat sie dokumentiert: Die kleine Judith auf den Knien ihres Vaters, er macht Faxen für sie und hält sie liebevoll fest, sie drückt ihren Lockenkopf an seine Brust und sieht zu ihm auf. Voller Bewunderung, voller Vertrauen.
    Mannis Handy beginnt zu fiedeln. Er mustert das Display, flucht, meldet sich trotzdem, schiebt seinen Teller beiseite und hört konzentriert zu, trommelt dabei die typisch ungeduldigen Mannirhythmen auf den Tisch.
    »Warte auf mich, ich fahr sofort los«, Manni pult einen 2o-Euro-Schein aus der Hosentasche und wirft ihn neben Judiths Teller. »Zahl du für mich.«
    »Was ist passiert?«
    Er streift seine Jacke über.
    »Jemand glaubt, unseren Kandidaten zu kennen«, sagt er schon im Stehen.
    »Ein Durchbruch.«
    »Vielleicht.« Manni zuckt mit den Schultern. »Den Feierabend kann ich jetzt jedenfalls vergessen. Ciao, ich muss los.«
    ***
    Sie muss wieder eingeschlafen sein, sobald ihre Mutter sich endlich verpisst hat, richtig tief und fest hat sie geschlafen, denn als das Sturmklingeln an der Haustür sie weckt, ist es schon dunkel. Bat stemmt sich in eine halbwegs sitzende Position und tastet nach ihrem Wecker. Wieder schrillt die Türklingel. Schon nach 19 Uhr, verdammter Mist, sie hat vergessen, die Weckfunktion zu aktivieren. Ihr Kopf dröhnt, ihr Bauch rumort.
    »Ich komm ja schon!«
    Sie hievt sich hoch, stolpert über etwas, das auf dem Boden liegt. Flaschen klirren, kullern über den Teppich. Mist, verdammter. Bat taumelt weiter, erreicht den Lichtschalter, den Flur, die Gegensprechanlage.
    »Ja?«
    Ihr ist schwindelig und schlecht. Ihre Knie sind wie Gummi. Sie ist immer noch hundemüde. Sie sollte wirklich nicht so viel trinken, zumindest damit hat ihre Mutter wohl recht. Bat presst den Hörer an ihr Ohr und lehnt sich an die Wand.
    »Fabian hier!«
    Fabi, na klar. Bat drückt auf den Türöffner. Lauscht den sich nähernden Schritten mit geschlossenen Augen, erleichtert, dass ihr Kreislauf sich allmählich stabilisiert. Heute ist Janas Geburtstag, plötzlich fällt ihr das wieder ein. Sie hat mit Jana gefeiert und ist auf dem Rückweg noch in eine Kneipe gegangen, wo irgend so ein Besoffski ihr weitere Drinks spendierte. Wie und wann ist sie eigentlich morgens heimgekommen? Sie weiß es nicht mehr. Kein Wunder, dass sie sich so beschissen fühlt.
    Fabian hat sich schon für die Nacht angezogen. Mit schwarzer Lederhose und der Lederjacke mit den Nieten und Ketten. Seine Haare sind blauschwarz gefärbt, die Schläfen rasiert, die Augen mit schwarzem Kajal ummalt, so dass es aussieht, als lägen sie tief in den Höhlen. Er hat sich ein neues Piercing gegönnt – eine Kette verbindet Nasenflügel und Augenbraue. Sie umarmen sich wortlos und lange. Zwei Verlassene, die sich bemühen im Weiterleben einen Sinn zu finden, jeden Tag aufs Neue, seit beinahe zwei Jahren schon.
    »Ich hab Sekt!« Fabian fördert eine Flasche aus den Tiefen seines Mantels und stapft durch den Flur in Bats Zimmer. Sekt für Jana, natürlich, wenigstens ein Schluck, auch wenn sie eigentlich überhaupt keine Lust darauf hat. Bat holt zwei Gläser aus der Vitrine im Wohnzimmer. Normalerweise geben sie einfach die Flasche hin und her, aber das erscheint ihr heute nicht feierlich genug. Hunger. Wieder fühlt sie diese dumpfe Leere in ihrem Bauch und ihr Mund ist ganz trocken. Sie durchsucht die Küchenschränke nach Chips oder Salzstangen oder einer Tiefkühlpizza, muss sich schließlich mit einem Paket Pumpernickel, Ketchup und Zervelatwurst begnügen. Ein paar Vorräte muss ihre Mutter ja einkaufen, auch wenn sie Bat am liebsten auf Zwangsdiät setzen würde, so lange, bis sie sich in eines dieser mageren, affigen Hochglanzmädchen aus den Versandhauskatalogen verwandelt hat, die ihre Mutter so liebt.
    Orgelklänge ertönen aus Bats Zimmer, die ersten Takte von
The Host of

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