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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Ruth zieht ihren Mantel aus und hängt ihn an die Garderobe. Jede Bewegung kostet sie Kraft. Steifbeinig geht sie in die Küche und setzt Teewasser auf. Bestimmt ist Bea nichts passiert, bestimmt hat sie sich nichts angetan und auf keinen Fall hat sie etwas mit diesen Morden zu tun. Immer wieder sagt Ruth sich das vor, bitte, Gott, bitte, wie ein Gebet.
    Ruth zieht eine Strickjacke über und schlürft heißen Tee. Er schmeckt nach nichts, obwohl sie zwei Löffel Honig hineinrührt. Sie hat einmal einen Traum gehabt, einen Traum von einem Leben mit einem Mann und einer Tochter. Aber der Traum ist zerbrochen und sie konnte nichts tun, das zu verhindern, sie hat erst als Ehefrau versagt und dann als Mutter, und was jetzt passiert, ist die Strafe dafür.
    Ein leises Zirpen reißt sie aus ihren Gedanken und treibt sie vorwärts, noch einmal in Beatrices Zimmer. Sie reißt die schwarzen Gardinen zur Seite. Das Zirpen wird lauter, und Ruths Angst wird zu Wut, als sie den durchsichtigen Plastikbehälter mit den übereinander krabbelnden Heuschrecken entdeckt. Ihre Tochter war hier, während sie voller Angst um sie auf dem Friedhof herumstolperte! Ihre Tochter hält es zwar nicht für nötig, mit ihr zu kommunizieren, aber den Futtervorrat ihres Chamäleons hat sie aufgestockt und sein Terrarium gereinigt. Satt und zufrieden döst das Reptil unter seiner Wärmelampe und mustert Ruth mit lauerndem Blick.
    Es klingelt. Einmal. Noch einmal. Der blonde Kommissar. Er sieht hohläugig aus und er hat es eilig, lässt sich aber nicht abwimmeln und drängelt sich in ihre Wohnung. Wenn er schon nicht mit ihrer Tochter sprechen kann, will er wenigstens deren Zimmer ansehen.
    »Beatrice ist zurzeit ein bisschen eigen. Ihr Geschmack … die Pubertät …«
    Ruth beißt sich auf die Lippe. Es ist völlig sinnlos, in Beas Zimmer irgendetwas zu beschönigen, und der Kommissar, der sie hier in ihrer Wohnung plötzlich wieder an ihren Exmann erinnert, scheint das genauso zu sehen. Stumm steht er da und lässt seine Blicke über die schwarzen Wände, die Kerzenständer, die Fledermausposter, die leeren Bierflaschen und die Matratze mit dem zerknautschten Bettzeug schweifen. Ruth ist sicher, dass ihm nicht das kleinste Detail entgeht. Keines der Brandlöcher im Teppich, nicht der überquellende Aschenbecher und bestimmt auch nicht der BH und das getragene Höschen in der Ecke neben dem Schrank, die Ruth erst jetzt entdeckt, was ihr die Schamesröte ins Gesicht treibt.
    »Na, wen haben wir denn da?«
    Zum Glück kommentiert der Kommissar nicht, was er sieht, sondern geht nach einer ersten Inspektion mit zwei langen Schritten zum Terrarium und klopft an die Scheibe. Das Chamäleon faucht, seine Hauttönung wechselt von grün zu grauschwarz.
    »Sie dürfen sie nicht erschrecken«, sagt Ruth mit steifen Lippen.
    »Es ist ein Mädchen, ja?« Der Kommissar grinst. »Ungewöhnliches Haustier.«
    »Beatrice sorgt sehr gut für sie.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe sie nicht erreicht. Ihr Handy ist abgeschaltet. Vielleicht ist auch die Karte leer, das kommt schon mal vor.«
    »Und das macht Ihnen keine Sorgen?«
    »Ich … sie ist achtzehn …«
    »Ist das Beatrice?« Jetzt hat der Kommissar das Trauerflor-Foto auf der Kommode entdeckt.
    »Nein, das ist ihre Freundin. Jana. Jana Schumacher. Sie ist vor zwei Jahren gestorben.«
    »Wie?«
    »Ein Unfall.« Ruths Augen füllen sich mit Tränen. Sie blinzelt, zwingt sie zurück. Sie kann doch bis heute nicht beschwören, dass das verzweifelte junge Mädchen, das eines Nachts vor zwei Jahren in der Seelsorge anrief, Jana war. Natürlich, ja, ihr durch alle Beratungen geschultes Ohr täuscht sie fast nie. Aber damals war sie noch nicht so routiniert. Und selbst wenn sie ganz sicher gewesen wäre, dass die schluchzende Anruferin wirklich Beas Freundin war, so unterlag sie doch der Schweigepflicht. Also hatte sie dem Mädchen zugehört, sie beschworen, mit ihren Eltern zu reden oder zumindest mit ihrem Freund. Sie hatte ehrlich geglaubt, sie hätte ihr geholfen. Und kurz darauf wirft sich diese Jana einfach vor den Zug.
    »Haben Sie auch ein Foto von Ihrer Tochter?« Der Kommissar schaut auf seine Uhr und folgt Ruth ins Wohnzimmer, wo sie ihm ein Porträt von Beatrice gibt. Meine Tochter hat jetzt eine andere Frisur. Ruth weiß, dass sie das eigentlich sagen muss, aber sie ist zu erschöpft, sie schafft es einfach nicht.
    »Ihre Tochter muss sich sehr dringend bei uns melden«, der

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