Farben der Sehnsucht
in dem Glauben großgezogen, daß Kimberly eine unverantwortliche Mutter sei und eine richterliche Verfügung Paris vor ihr habe schützen müssen. Wenn Paris dies als eine Lüge enttarnen würde, dann würde sie auch einsehen müssen, daß ihr Vater und ihre Großmutter sie betrogen hatten. Diese Erfahrung mußte für Paris sehr schmerzhaft sein, und Sloan hatte Angst, daß sie den einzig möglichen Ausweg wählen würde, um sich davor zu schützen: die Annäherung an Kimberly zu vermeiden, etwa indem sie sich immer neue Gründe einfallen ließ, um sie nicht aufsuchen zu müssen.
Die Kellnerin kam an den Tisch, um ihre Bestellung aufzunehmen, und Sloan entschied sich für das empfohlene Tagesgericht, ohne gelesen zu haben, um was es sich dabei handelte. Sobald die Bedienung wieder gegangen war, beschloß Sloan, die Sache mit Kimberly anzusprechen, doch Paris ergriff zuerst das Wort und brachte ein anderes Thema auf den Tisch. »Worüber wollte Urgroßmutter heute morgen mit dir sprechen?«
»Über Schmuck«, sagte Sloan scheinbar leichthin. »Sie wollte mir ein paar Familienerbstücke schenken, was ich allerdings abgelehnt habe.«
Paris sah sie ernst an. »Hat sie auch über ihr Testament mit dir gesprochen?«
Als Sloan nickte, legte Paris ihre Fingerspitzen an beide Schläfen und begann sie zu reiben, als litte sie unter plötzlichen Kopfschmerzen. »Es tut mir leid«, sagte sie entschuldigend. »Ich weiß ja, daß sie irgendwann sterben muß.«
Während Sloan voller Mitgefühl schwieg und wartete, daß sie weitersprach, ließ Paris schließlich die Hände in den Schoß fallen und seufzte auf. »Ich habe das Samtkästchen auf ihrem Tisch gesehen und dachte mir schon, daß sie so etwas vorhat. Es ist nur: Ich hasse es, wenn sie vom Sterben spricht. Vielleicht glaube ich insgeheim, daß sie dadurch den Tod herbeiredet. Ach, ich weiß auch nicht.« Sie schüttelte den Kopf, als könne sie sich so von den schwermütigen Gedanken befreien, stützte dann die Ellbogen auf den Tisch und lehnte sich nach vorn. »Reden wir lieber über etwas Erfreulicheres.«
Auf diese Gelegenheit hatte Sloan gewartet. »Möchtest du über deine Mutter sprechen?«
»Einverstanden.«
»Ich habe heute früh mit ihr telefoniert und ihr von dir erzählt. Ich habe ihr auch gesagt, daß du sie besuchen willst.«
»Und wie hat sie reagiert?«
Sloan sah Paris gerade in die Augen und erwiderte sanft: »Sie hat geweint. Ich habe noch nie erlebt, daß Mom geweint hat.«
Paris schluckte, als sie begriff. »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
»Ja. Sie hat mich gebeten, dir liebe Grüße auszurichten.«
Paris senkte verlegen den Kopf und starrte auf ihr Wasserglas. »Das war nett von ihr.«
Wie Sloan vorausgesehen hatte, würde dieses Thema bei ihnen beiden äußerst gemischte Gefühle auslösen, und sie wählte ihre Worte sehr vorsichtig, als sie nun weitersprach. »Ich weiß, wie hart das für dich ist. Man hat dir schreckliche Dinge über sie erzählt, und nun komme plötzlich ich daher und sage dir, daß sie einer der liebsten und nettesten Menschen der Welt ist. Wenn aber ich die Wahrheit sage, dann muß dich vorher jemand belogen haben. Nein, nicht jemand, sondern dein Vater und seine Mutter.«
»Er ist auch dein Vater«, sagte Paris mit einem Flehen in der Stimme, als würde sie Sloan darum bitten, die Beziehung zu ihrem Vater anzuerkennen, bevor Paris eine mit Kimberly bilden konnte.
»Natürlich ist er das«, erwiderte Sloan und beschloß, dieselbe vorbehaltlose Strategie zu verfolgen wie Paul auf dem Weg nach Palm Beach, als er ihr gegenüber Mutmaßungen über die Trennung ihrer Eltern angestellt hatte. Nach einer kurzen Pause fragte sie Paris: »Bist du der Mutter deines Vaters sehr nahegestanden?«
»Großmutter Frances?« Paris zögerte einen Moment und schüttelte dann schuldbewußt den Kopf. »Ich hatte entsetzliche Angst vor ihr. Jeder hatte das. Es war nicht so sehr, daß sie böse war - obwohl sie auch das war -, aber sie war auch noch kalt.«
Genau diese Art von Antwort hatte Sloan erhofft. »Dann laß uns ihr die Schuld geben für das, was passiert ist und was man dir erzählt hat«, sagte sie mit leicht ironischem Unterton. »Wahrscheinlich war sie tatsächlich die treibende Kraft.«
Nun erzählte Sloan ihrer Schwester ihre Version von dem Tag, als Carters Mutter in ihrer Limousine in Florida erschienen war und Carter und Paris mit nach San Francisco genommen hatte. Während Paris ihr aufmerksam zuhörte, konnte
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