Farben der Sehnsucht
Tränen in die Augen traten. »Sie erinnert mich so sehr an dich«, sagte sie sanft. »Weißt du, sie liebt Kleider und entwirft sie sogar selbst.« Im Hintergrund war Lydias schrille Stimme zu vernehmen, die Kimberlys Namen rief. »Klingt, als solltest du besser gehen«, sagte Sloan. »Ich rufe dich in ein paar Tagen wieder an.«
»Ja, bitte tu das.«
»Wiedersehen.«
»Warte noch«, bat Kimberly. »Glaubst du... Glaubst du, daß Paris sich freut, wenn ich ihr liebe Grüße ausrichten lasse?«
Sloan schluckte, um nicht laut aufzuschluchzen. »Ja, sie wird sich ganz sicher freuen. Ich werde es ihr gleich sagen.«
29
Edith saß in ihrem Lieblingsstuhl im Schlafzimmer und war wie immer in Schwarz gekleidet; der einzige Farbfleck an ihrer Gestalt war eine große, mit Rubinen und Diamanten besetzte Brosche auf ihrer Brust. Sloan fragte sich, ob sie in ihrem Kleiderschrank irgend etwas Helleres hatte, und wenn es auch nur ein Schal war.
»Urgroßmutter«, sagte Paris, indem sie der alten Frau einen Kuß auf die Stirn gab. »Du sagtest, du wolltest Sloan noch sehen, bevor wir das Haus verlassen.«
»Ja, Paris. Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich mit ihr allein sprechen.«
Paris sah leicht überrascht aus, nickte dann aber und ging aus dem Zimmer.
Sloan hatte kaum Edith gegenüber Platz genommen, als diese sie auch schon spitz fragte: »Was hast du vorhin gedacht?«
Sloan fühlte sich ertappt. »Ich habe mich gefragt, ob du einen farbigen Schal tragen würdest, wenn ich dir heute in der Stadt einen kaufe.«
Die weißen Brauen der alten Frau schossen in die Höhe. »Du magst meinen Kleidergeschmack nicht?«
»Nein, das habe ich damit gar nicht gemeint.«
»Du solltest auf deine Unverschämtheiten nicht auch noch eine Lüge draufsetzen. Genau das hast du gemeint.«
Sloan saß in der Falle und suchte sich mit einer Ausrede herauszuwinden. »Meine Mutter sagt immer, daß helle Farben gute Laune machen.«
»Und du glaubst, daß meine Laune besser sein könnte, oder wie darf ich das verstehen?«
»Aber nein. Ich dachte nur, du hast so hübsche Augen, und ein blauer Schal...«
»Jetzt verlegst du dich auch noch auf Schmeicheleien. Heute kommen wirklich alle deine Laster an die Oberfläche«, unterbrach sie die alte Lady, wobei sie jedoch auf die für sie typische, bärbeißige Art und Weise lächelte. Dann warf sie einen Blick zur Decke und sagte: »Paß auf, daß man dich dort oben nicht hört.«
Sloan folgte verständnislos ihrem Blick. »Dort oben?«
»Ja, dort oben. Im Himmel. Wenn man so alt ist wie ich, fängt man an, sich darüber Gedanken zu machen. Ich hoffe doch, daß ich in den Himmel komme und nicht in die Hölle, oder was denkst du?«
Erst jetzt verstand Sloan, daß die alte Frau vom Sterben sprach. »Ich möchte lieber gar nicht daran denken.«
Edith wischte ihren Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung fort. »Der Tod gehört nun mal zum Leben. Ich bin fünfundneunzig Jahre alt und kann meine Augen nicht mehr vor ihm verschließen. Darum geht es aber jetzt gar nicht. Ich werde ganz offen zu dir sein und wünsche keinerlei Gefühlsausbrüche...«
Sloan wappnete sich innerlich dafür, daß sie gleich etwas sehr Unangenehmes zu hören bekommen würde.
Edith hatte inzwischen nach einem großen dunkelblauen Samtkästchen auf dem Tisch gegriffen und es Sloan hinübergeschoben; dann begann sie am Verschluß ihrer Brosche zu nesteln. Ihre Finger waren von Alter und Arthritis stark verkrümmt, aber Sloan hütete sich davor, ihr ihre Hilfe anzubieten, um Ediths Stolz nicht zu verletzen. Vielmehr blieb sie schweigend sitzen und hielt das Kästchen auf ihrem Schoß, bis Edith die Brosche endlich abgenommen hatte.
»Mach das Kästchen auf«, befahl die alte Frau dann.
Sloan tat, wozu Edith sie aufgefordert hatte, und hob den Deckel des flachen Schmuckkästchens: Darin fand sie in Samt eingebettet ein wunderschönes, mit zahlreichen Rubinen und Diamanten besetztes Kollier und dazu passend ein Paar Ohrringe und ein Armband.
»Was sagst du?« fragte Edith.
»Oh, der Schmuck ist wunderschön... Und hell ist er auch«, fügte sie hinzu, da sie annahm, Edith habe sich ihre Kritik zu Herzen genommen und wolle sich selbst mit den Juwelen schmücken, um ihre düstere Erscheinung etwas aufzuhellen.
»Diese Schmuckstücke haben - zusammen mit dieser Brosche hier - deiner Ururgroßmutter Hanover gehört. Sie sind schon länger als jedes andere Stück in unserer Familie, und sie haben aus diesem Grund
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