Farben der Sehnsucht
einem kurzen, brennenden Blick. »Ich würde sagen, daß sie ein Wunder ist.«
Sloan lächelte zufrieden und stand auf. »Gut, dann sind wir uns ja einig.«
Er zuckte mit den Schultern. »Leider glaube ich aber nicht an Wunder.«
Sloan schob ihre Hände in die Hintertaschen ihrer Hose und sah auf Paul hinunter. »Paris ist genau wie meine Mutter: Sie sind wie zwei kleine Weidenbäume. Sie scheinen zart und zerbrechlich, wenn der Wind sie ordentlich durchschüttelt, aber sie sind unzerstörbar. Sie würden es einfach nicht zulassen, daß jemand sie kaputtmacht. Irgendwie finden sie immer einen Grund, um weiterzuleben und das Leben auch noch zu lieben. Jeder hält sie für schwach und schutzbedürftig, und in gewisser Weise stimmt das auch. Aber wenn sich dann jemand vor sie stellt und sie zu schützen meint, merkt er gar nicht, daß in Wirklichkeit sie ihn beschützen. Meine Mutter war mir immer ein Rätsel, und bisher hatte ich noch nie jemanden getroffen, der so ist wie sie. Niemanden bis auf meine Schwester Paris.«
Paul sah sie fasziniert an und fragte sich, ob er ihr ehrlich sagen sollte, was er über ihre Worte dachte; schließlich entschied er sich dafür, es zu tun. »Du täuschst dich, Sloan«, sagte er ruhig. »Nicht Paris ist es, die so ist, sondern du selbst.«
Damit stand er auf und ging davon, während Sloan sprachlos und verwundert dastand und ihm nachsah.
»Mr. Richardson?« rief der Butler Paul zu, kurz nachdem er ins Haus getreten war. »Ich habe hier einen dringenden Anruf für Sie, aus Ihrem Büro.«
Paul eilte hinauf in sein Zimmer und nahm den Hörer ab. Er hatte diesen Anruf erst einen Tag später erwartet und war gespannt, was er zu bedeuten hatte.
Kurz darauf teilte der FBI-Mann am anderen Ende der Leitung Paul in verschlüsselten Worten mit, daß der Bundesrichter soeben einen Durchsuchungsbefehl für Maitlands Schiffe unterzeichnet hatte. »Tut mir leid, daß ich dich im Urlaub stören muß, aber wir haben große Neuigkeiten: Der Kunde hat den Vertrag unterschrieben. Ich halte ihn bereits hier in meiner Hand. Willst du bis morgen warten, um ihn gegenzuzeichnen, oder soll ich ihn dir noch heute überbringen?«
»Ich will ihn auf jeden Fall noch heute haben. Die Reynolds’ werden mich nicht vermissen, wenn ich mich für eine Weile verabschiede. In der Familie hat es einen Todesfall gegeben.«
»Ich habe davon gehört. Wie traurig.« Der Mann schwieg einen Moment, um sein gespieltes Mitgefühl auszudrücken. Dann fragte er Paul wiederum in verschlüsselten Worten, ob nur das FBI bei der Durchsuchung dabeisein sollte oder auch die Küstenwache und die Spezialeinheiten der Polizei, die für den Schmuggel von Alkohol, Drogen oder Waffen zuständig waren. »Da sind noch ein paar Einzelheiten bezüglich der Gruppenversicherungspolice, über die ich mir nicht sicher bin. Willst du eine Ausschlußklausel für Raucher drinhaben?«
»Du kannst sie ruhig mit reinnehmen.«
»Was ist mit der Deckung bei Unfalltod?«
»Nimm sie auch dazu. Das macht die Police zu einem lückenlosen, soliden Paket. Wie bald kannst du die Papiere fertig haben?«
»Wir haben schon alles vorbereitet, in der Hoffnung, daß der Kunde den Vertrag unterschreiben würde. Wenn ich mich beeile, kann ich in ein bis zwei Stunden aufbrechen.«
»Tu dein Möglichstes. Ich treffe dich am vereinbarten Ort und führe dich dann persönlich herum. Je mehr Tageslicht wir noch haben, desto besser.«
Als das Gespräch beendet war, legte Paul den Hörer auf die Gabel und atmete erleichtert auf.
39
Sloan zog es vor, persönlich zu Noah hinüberzugehen, statt ihn zurückzurufen. Sie hatte ihm etwas Wichtiges zu sagen und wollte das nicht am Telefon erledigen.
Courtney ging inzwischen in Palm Beach auf eine Privatschule, und so war es Douglas, der Sloan die Tür öffnete. Nachdem er sie herzlich umarmt und ihr sein Beileid für Ediths Tod ausgesprochen hatte, sagte er: »Noah ist oben in seinem Büro; er wird sehr froh sein, dich zu sehen.« Dann zog er sie vertraulich auf die Seite und fügte hinzu: »Er führt sich auf wie ein Tiger im Käfig, weil er heute morgen nicht mit dir sprechen konnte und nicht weiß, wie es dir geht.«
Sloan ging schnell die Treppe hinauf und winkte im Vorbeigehen Mrs. Snowden zu, die in einem kleineren Büro neben dem von Noah saß.
Noah schien zwar gerade ein ziemlich wichtiges Telefongespräch zu führen, doch als er aufblickte und Sloan auf der Türschwelle stehen sah, brach er es abrupt ab und
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