Farben der Sehnsucht
versprach, sich später wieder zu melden. Dann stand er hastig auf, ging um seinen Schreibtisch herum und schloß Sloan erleichtert in die Arme. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Wie geht es dir denn, mein Liebling?«
»Ich bin okay«, flüsterte Sloan und schmiegte ihre Wange an seine vertraute Brust. Er hatte sie »Liebling« genannt, und die Süße dieses Wortes wie die Zärtlichkeit in seiner Stimme rührten sie so sehr, daß sie beinahe in Tränen ausbrach.
»Hat die Polizei drüben schon etwas Wichtiges gefunden?«
»Wichtig ist wohl eher, was sie nicht gefunden hat«, sagte Sloan, indem sie widerstrebend ihr Gesicht von seiner Brust hob und zu ihm aufsah.
Noah bemerkte besorgt, wie bleich sie war und daß in ihren blauen Augen Angst und Unruhe zu lesen waren. »Du kannst mir alles erzählen, wenn wir unten sind. Ich werde Claudine bitten, uns etwas zu essen zu machen. Mein Gott, du siehst ja aus wie ein Geist! Ich wünschte, du wärst heute nacht mit hierhergekommen und hättest zugelassen, daß wir uns um dich kümmern.«
Der Gedanke, daß jemand sich um sie kümmern wollte, war für Sloan genauso neu wie die Tatsache, »Liebling« genannt zu werden, und all dies erfüllte sie mit tiefer Dankbarkeit.
Noah hatte den Arm um ihre Taille gelegt, während sie nach unten gingen. »Ich muß unter vier Augen mit dir sprechen und möchte nicht, daß Douglas dabei ist«, sagte Sloan. Er nickte und führte sie in das riesige Wohnzimmer mit der hohen Decke und dem hellen Marmorboden. Seine bis zum Boden reichenden Fenster gaben den Blick auf die Rasenfläche an der Vorderfront des Hauses frei, auf der ein Springbrunnen seine Fontänen über einen großen bronzenen Fisch ergoß. Trotz ihrer Angespanntheit bemerkte Sloan, wie luftig und hell Noahs Haus im Gegensatz zu dem von Carter war.
»Es wurde gestern abend so gut wie nichts gestohlen«, begann sie, nachdem Noah Claudine um die Zubereitung eines Lunchs gebeten und neben Sloan auf dem Sofa Platz genommen hatte, wo er ihr nun seine volle Aufmerksamkeit schenkte.
»Offensichtlich wollte der Mörder uns nur glauben machen, daß es sich um einen Einbruch handelt«, fuhr Sloan fort. »Der Großteil des zerbrochenen Glases lag außerhalb des Hauses, was bedeutet, daß das Fenster von innen eingeschlagen wurde. An Ediths Hand fehlt zwar ein Ring, aber sie trug noch einen weiteren Ring und eine Brosche, die beide noch da sind. Alles deutet darauf hin, daß es sich um einen geplanten Mord handelt, Noah.«
»Bist du sicher?« fragte er mit gerunzelter Stirn.
Sloan hob resigniert die Schultern und fragte sich vergeblich, wer Edith ermorden hätte wollen. »So sicher man sein kann, solange das Geständnis des Schuldigen noch nicht vorliegt.«
»Ich kann es kaum glauben. Edith ist doch kaum ausgegangen und hatte daher so gut wie keine Gelegenheit, sich Feinde zu machen. Wer könnte sie denn nur umbringen wollen?«
Sloan atmete tief durch und sah ihm gerade in die Augen. »Ich glaube, daß die Polizei mich als allererste verdächtigen wird.«
»Dich?« sagte er mit einem Lachen. »Dich?« wiederholte er dann nachdenklicher. »Wieso in Himmels Namen sollte jemand annehmen, daß du sie töten willst oder daß du überhaupt zu irgendeiner Art von Gewalt fähig bist?«
Sloan war sehr wohl gewohnt, mit Gewalt umzugehen, aber das konnte sie ihm nicht sagen. Statt dessen erklärte sie ihm kurz, wieso die Polizei sie verdächtigen würde. Während Noah ihr schweigend zuhörte, verschwand langsam das Lächeln von seinen Lippen. Sloan bemerkte erleichtert, daß er sich keinerlei Illusionen über die mögliche Willkür der Gesetzesmaschinerie machte und sie daher nicht davon zu überzeugen suchte, sich keine Sorgen zu machen, weil sie schlicht und einfach unschuldig war. Statt dessen reagierte er so schnell und effizient, daß sie nur staunen konnte.
Sobald Sloan mit ihrem Bericht zu Ende war, wandte sich Noah über die Gegensprechanlage an Mrs. Snowden. »Treiben Sie mir bitte Robbins auf, wo immer er auch sein mag, und rufen Sie dann Kirsh an. Er ist zur Zeit hier in der Stadt und wohnt im Windsor.«
Als Sloan ihn fragend ansah, erklärte er: »Robbins ist mein Sicherheitsbeauftragter, und Kirsh ist einer der besten Strafverteidiger in Florida. Er wohnt in meinem Hotel.«
Sloans Augen weiteten sich vor Staunen. »Kenneth Kirsh?«
»Genau der«, sagte Noah mit einem beruhigenden Lächeln.
Innerhalb kürzester Zeit rief Mrs. Snowden zurück, daß sie Kirsh am
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