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Farben der Sehnsucht

Titel: Farben der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaugth
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entstiegen. An den Wänden standen Spaliere, über die sich weitverzweigte, üppig blühende Pflanzen bis zur Decke rankten. Inmitten dieser seltsamen Szenerie und umgeben von prächtigen weißen Orchideen saßen zwei Frauen und sahen dem Trio gespannt entgegen. Sloan mußte sich innerlich zusammennehmen, um angesichts des nicht gerade alltäglichen Schauplatzes für die erste Begegnung mit ihrer Schwester nicht die Nerven zu verlieren.
    Die Fotos, die Sloan aus Zeitungen und Zeitschriften kannte, waren der wirklichen Paris Reynolds nicht gerecht geworden. Mit ihrer Alabasterhaut, ihren großen braunen Augen und ihrem dunklen, glänzenden Haar, das ihr weich auf die Schultern fiel, entsprach Paris dem Inbegriff von mondäner Eleganz. Sie trug ein jadefarbenes, enganliegendes Leinenkleid mit weiten Ärmeln, die an den Handgelenken durch goldene Knöpfe zusammengehalten wurden. Schweigend und unbeweglich saß sie da, die Hände locker um eine Mappe auf ihrem Schoß gefaltet, die nach einem Skizzenbuch aussah. Ihr schönes Gesicht zeigte keinerlei Regung, während sie Sloan entgegenblickte.
    Sloan konzentrierte sich ganz darauf, einen Fuß ruhig vor den anderen zu setzen und sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Da die blasierte Miene ihrer Schwester sie verunsicherte, richtete sie ihren Blick auf die alte, magere Frau, die hochaufgerichtet neben Paris saß. Paul hatte Edith Reynolds als Drachen bezeichnet, aber Sloan fand, daß sie eher einem Falken ähnelte. Ihr kleiner, zerbrechlich wirkender Körper war in ein strenges schwarzes Kleid gehüllt, dessen Stehkragen von großen Perlen geziert wurde; die Haut ihres schmalen, vornehmen Gesichts war so bleich wie das Weiß ihrer Perlen, und auch ihre Augenbrauen und die zu einem festen Knoten gebundenen Haare waren schlohweiß. Nur die hellblauen Augen verliehen ihrer Erscheinung etwas Farbe, doch sie waren so scharf und stechend, daß Sloan das Gefühl hatte, einer unerbittlichen Prüfung unterzogen zu werden.
    Der Eindruck der Zerbrechlichkeit verschwand jedoch sofort, als sie nun Carter barsch in seinem höflichen Vorstellungsritual unterbrach. »Zweifellos weiß sie bereits, wer wir sind, Carter«, schnauzte sie. Dann wandte sie sich mit einem herausfordernden Blick an Sloan und versetzte kurz: »Ich bin deine Urgroßmutter, dies ist deine Schwester, und du bist natürlich Sloan.«
    Da das Benehmen der alten Frau bereits an die Grenze zur Unhöflichkeit ging, antwortete Sloan ihr nur mit einem wortlosen Nicken. Edith schien darüber etwas irritiert, wandte sich dann aber kurzerhand an Paul und fragte in einem Ton, der eher eine Forderung als eine Frage enthielt: »Und wer sind Sie?«
    Sloan beschloß, für Paul zu antworten. »Das ist mein Freund, Paul Richardson«, erwiderte sie ruhig und sah dann ihren Vater an, der von dem seltsamen Verhalten der alten Frau völlig unbeeindruckt schien. »Ich hatte doch vor meinem Besuch angekündigt, daß ich jemanden mitbringen würde«, sagte sie wieder zu der weißhaarigen Frau gewandt.
    »Ja, aber wir sind selbstverständlich davon ausgegangen, daß dieser Jemand eine Frau sein würde«, ließ Edith Reynolds sie wissen. »Ich hoffe, du hast nicht vor, in unserem Haus ein Schlafzimmer mit ihm zu teilen.«
    Sloan fühlte das plötzliche Bedürfnis, laut aufzulachen oder fluchtartig den Raum zu verlassen, doch da keine dieser beiden Möglichkeiten in Betracht kam, setzte sie statt dessen eine gelassene Miene auf und antwortete in höflichem Ton: »Nein, gnädige Frau, das habe ich nicht vor.«
    »Nenn mich nicht >gnädige Frau<«, blaffte die alte Dame. »Du kannst mich mit >Urgroßmutter< ansprechen«, fuhr sie dann gnädig fort. Da sie wie eine Monarchin klang, die einem ihrer Untertanen einen unverdienten Gefallen gewährte, beschloß Sloan für sich im stillen, sie niemals so anzusprechen.
    Die alte Frau richtete ihren durchdringenden Blick nun wieder auf Paul. »Wie alt sind Sie?«
    »Neununddreißig.«
    »Dann sind Sie ja alt genug, um zu begreifen, daß in meinem Haus gewisse Anstandsregeln befolgt werden müssen -und zwar auch, wenn Sie sich unbeobachtet fühlen. Sie verstehen, worauf ich hinauswill?«
    »Ich glaube, ja. Natürlich«, fügte er hinzu, als sie ihn mißtrauisch ansah.
    »Sie können mich >Mrs. Reynolds< nennen.«
    »Danke, Mrs. Reynolds«, erwiderte er höflich, wobei er eher klang wie ein braver Musterschüler als ein FBI-Agent, der die Absicht hatte, die ganze Familie Reynolds ins Unglück zu

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