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Farben der Sehnsucht

Titel: Farben der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaugth
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stürzen.
    Nachdem er dem Gespräch eine Weile schweigend gefolgt war, entschloß sich Sloans Vater, das Thema zu wechseln. »Paris«, wandte er sich an seine andere Tochter, »ich weiß, daß du sehr auf diesen Moment gewartet hast...«
    Sein Stichwort veranlaßte Paris, in einer anmutig fließenden Bewegung aufzustehen und Sloan ein höfliches Lächeln zu schenken. »Ja, das habe ich«, sagte sie mit einer sehr melodischen, aber zurückhaltenden Stimme und reichte Sloan ihre perfekt manikürte Hand. »Angenehm, deine Bekanntschaft zu machen«, sagte sie dann.
    Wieso denn angenehm? dachte Sloan in einem Anflug von Ironie und Verzweiflung. Das Wort Stiefschwester schoß ihr durch den Kopf, während sie die Hand der schönen Fremden ergriff und leise erwiderte: »Auch ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen.«
    Edith Reynolds hatte genug von den höflichen Begrüßungsfloskeln. »Ich nehme an, daß Sloan und Mr. Richardson sich vor dem Dinner noch frischmachen und ausruhen möchten«, sagte sie. »Paris wird euch beide zu euren Zimmern bringen. Wir treffen uns um sieben Uhr wieder zum Abendessen. Bitte kommt nicht zu spät. Und noch etwas: Wir sehen dich hier nur äußerst ungern in Hosen«, fügte sie mit einem verächtlichen Blick auf Sloans Beinbekleidung hinzu.
    Sloan hatte befürchtet, daß ihr Vater und ihre Schwester sie gleich nach ihrer Ankunft einem langen und ausführlichen Verhör unterziehen würden. Sie war daher erleichtert, daß der alte Drachen ihr eine zweistündige Verschnaufpause gewährte, die ihr die Möglichkeit gab, ihre Gedanken zu sammeln. Allerdings hätte Edith Reynolds sich bestimmt etwas anderes einfallen lassen, wenn sie gewußt hätte, daß sie Sloan damit einen Gefallen tat.
    »Paris wird dafür sorgen, daß es euch an nichts fehlt«, schaltete sich Carter Reynolds mit einem freundlichen, fast entschuldigenden Lächeln ein. »Wir sehen euch beide zum Dinner.«
    Sloan folgte Paris hinaus, während Paul sich an ihre Seite gesellte und - wie es sich für einen Freund geziemte - in einer höflichen, aber vertrauten Geste leicht ihren Ellbogen berührte. Sie war so in ihre Gedanken über diese seltsamen Menschen versunken, daß sie kaum einen Blick für ihre Umgebung hatte, als sie nun zurück in die Eingangshalle gingen und von dort die lange, gewundene Treppe mit dem Messinggeländer hochstiegen. Bisher deutete alles darauf hin, daß ausgerechnet Carter Reynolds, den sie sich ganz anders vorgestellt hatte, der menschlichste und sympathischste von ihren drei neuen Familienmitgliedern war.
    Im oberen Stockwerk angelangt, wandte sich Paris nach links und ging weiter bis fast ans Ende des Korridors. »Dies ist Ihr Zimmer, Mr. Richardson«, erklärte sie, während sie die Tür öffnete, hinter der ein geräumiges Zimmer zum Vorschein kam, das in Jadegrün gehalten und mit massiven italienischen Möbeln eingerichtet war. Pauls Koffer lagen bereits geöffnet auf dem Bett. »Wenn Sie irgend etwas benötigen sollten, wenden Sie sich einfach über die Gegensprechanlage an unser Personal«, sagte sie und nickte ihm höflich zu, bevor sie das Zimmer wieder verließ und weiter den Gang hinunterging.
    Paul hatte Sloan erzählt, daß Paris allgemein für kühl und reserviert gehalten wurde. Sie war aber mehr als das. Sie hat keinen Funken Leben im Leib, dachte Sloan und spürte, daß ihr diese Erkenntnis zu ihrer eigenen Überraschung einen Stich der Enttäuschung versetzte. Jede von Paris’ Bewegungen vermittelte den Eindruck, daß sie einer präzisen Choreographie folgte; sie setzte ihre Füße in den hochhackigen Schuhen so gleichmäßig voreinander, daß ihr Gang etwas von einem steifen, aber durchaus anmutigen Tanz hatte, bei dem sich ihre Hüften und Arme kaum bewegten und ihr Kopf hochaufgerichtet auf dem kerzengeraden Rücken thronte.
    »Ich sehe dich dann beim Abendessen, Sloan«, rief ihr Paul in fast zärtlichem Ton nach.
    Sloan hatte ganz vergessen, daß sie und Paul sich in einer Art Theaterstück befanden. Sie drehte sich schnell zu ihm um und sagte mit einem Augenzwinkern: »Ich wünsche dir angenehme Ruhe.«
    »Danke, das wünsche ich dir auch.«
    Am Ende des Korridors blieb Paris vor einer weiteren Tür stehen, öffnete sie und wiederholte dieselben höflichen Worte und dasselbe pflichtschuldige Lächeln, mit dem sie kurz zuvor Paul eingewiesen hatte. Dann blieb sie jedoch zögernd an der Tür stehen, als warte sie noch auf etwas. Wahrscheinlich wollte sie hören, ob ihr das

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