Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
Himmel fiel und ihn an einen Traum erinnerte, den er einmal von Menschen gehabt hatte, die von den Sternen herabgefallen waren.
Bahm hatte die ganze Nacht hindurch nichts getan außer still zuzusehen und immer wieder Boten mit Berichten über den Verlauf der Verteidigungshandlungen zum Kriegsministerium zu schicken. Gelegentlich hatte
er auf eine der Bemerkungen der Kommandanten geantwortet oder über einen schwarzen Scherz gelacht, den jemand in dem Versuch gerissen hatte, die Anspannung zu verringern. Er war der sechste lange Angriff in genauso vielen Nächten, und Bahm war erschöpft. Als die Sonne im Osten links von ihnen über der Mauer aufging, welche die Küste des Lansweges auf dieser Seite schützte, hatte sich der Feind bereits zurückgezogen und seine Verwundeten mitgenommen. Der Angriff war zum Glück abgewendet worden.
Eine neue Landschaft tat sich nach dem Rückzug auf: eine verwüstete und versengte, in der sich überall Flecken von Bewegung zeigten – von Bewegung, die ziellos, langsam und erschöpft war. Bahm sah zu, wie die Männer aus der Stadt mit ihren Kameraden herumtaumelten, als ob sie betrunken wären – was sie möglicherweise tatsächlich waren – oder im Matsch oder auf den blutbeschmierten Steinen der Brustwehr in die Knie gingen. Einige riefen den Morgenhimmel an, oder auch ihre Kameraden, oder sie lachten, lachten einfach nur. Der Schlachtenlärm war nun verebbt, und Bahm fühlte sich, als ob ein heftiger Wind die langen Stunden der Dunkelheit und Wachsamkeit hindurch sein Fleisch gepeitscht hätte und plötzlich verschwunden wäre. Er lauschte den ewigen Hungerschreien der fernen Möwen. Er sah in die verhärmten Gesichter der Kommandogruppe und erwiderte ihr leeres Starren.
Äußerlich kalt und innerlich betäubt stieg Bahm den Berg der Wahrheit hinauf, um dem General Bericht zu erstatten. Der alte Mann war noch wach; in seinen Ministeriumsgemächern
waren die Vorhänge zugezogen, und Öllampen flackerten in den Ecken; es sah so aus, als habe er nicht geschlafen. Der Feind war zurückgeschlagen worden, was das Leben von einundsechzig Verteidigern gekostet hatte, wie Bahm ihm mitteilte. Einige wurden noch vermisst. Zahllose waren verletzt worden. Die Reparaturarbeiten an dem eingestürzten Mauerstück waren wiederaufgenommen worden, aber es war zweifelhaft, ob man zu mehr als nur einer behelfsmäßigen Füllung in der Lage sein würde.
»Sehr gut«, sagte Glaub mit müder Stimme. In dem tiefen Ledersessel, in dem er saß, hielt er Bahm den Rücken zugekehrt.
Da er wusste, dass er spät dran war, hatte sich Bahm im Ministerium nur kurz Gesicht und Hände gewaschen. Auch hatte er um etwas Brot und Käse aus der Küche gebeten und diese Mahlzeit verzehrt, während er den Hügel hinunter zum nahe gelegenen Viertel der Barbiere eilte. Auf den Straßen ging es so früh am Morgen schon lebhaft, ja beinahe festlich zu, wie es nach einem solchen Angriff üblich war.
Sein Familientempel befand sich in diesem Viertel – Bahms Familie stammte von hier, wo er geboren und aufgewachsen war. Auf der Quittenstraße standen noch die Prostituierten aus der vergangenen Nacht und boten sich den Soldaten an, die nun von den Mauern herkamen und erregt von der Erleichterung und dem Blutvergießen waren.
Als Bahm an den Frauen vorbeiging, riefen ihn einige bei seinem Namen – es waren die älteren, die sich noch
an seine Jugendzeit erinnerten. Er nickte, lächelte knapp und marschierte weiter. An der Ecke Quitten- und Abtstraße sah er ein besonderes Mädchen, unter deren Anblick es ihm den Magen zuschnürte. Sie erkannte ihn ebenfalls. Es war nicht lange her, bloß ein paar Tage. Sie drückte den Rücken durch, was ihren kleinen Busen hervorhob, und schaute ihn unter schweren Wimpern an.
So jung, dachte Bahm und empfand beinahe Verzweiflung.
Er hatte sich bei jenem ersten und letzten Mal das Versprechen gegeben, dass er es nie wieder tun würde. Bahm schritt weiter in dem festen Vorsatz, an dem Mädchen vorbeizugehen. Er drehte nur kurz den Kopf und nickte ihr einen Gruß zu, doch dann teilten sich die Lippen des Mädchens, und er sah ihren sanftroten Schimmer und blieb stehen.
Aus der Nähe erkannte er die rote, wunde Haut um die Nasenflügel – eine Auswirkung des Inhalierens von Schlack – und die eingesunkenen Augen der Abhängigen. Sie schien dünner als bei ihrer letzten Begegnung zu sein.
»Wie geht es dir?«, fragte Bahm das Mädchen. Seine Worte klangen sanft, aber seine Stimme
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