Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
auch nicht.«
Überraschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, und Loos trat an ihre Seite, während er Nico einen harten Blick schenkte.
Nico erwiderte diesen Blick. Er wollte verdammt sein, wenn er als Erster wegsah.
Seine Mutter wollte etwas sagen, doch sie zögerte. Plötzlich sackten ihre Schultern herab, und ihre Rüstung zerbrach. Eine Hand wurde zwischen die Gitterstäbe gestreckt.
Nico spürte sie an seinem Nacken; die Finger packten ihn und zogen seinen Kopf nach vorn in eine Umarmung, zwischen der das kühle Metall stand.
»Mein Sohn«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »was hast du getan? Ich habe dich nie für einen Dieb gehalten.«
Er war überrascht, als er Tränen in seinen Augen spürte. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich war verzweifelt und stand kurz vor dem Verhungern.«
Sie machte ein besänftigendes Geräusch und streichelte sein Gesicht. »Ich habe mir so große Sorgen um dich gemacht. Immer wenn wir in der Stadt waren, habe ich nach dir Ausschau gehalten, aber alles, was ich gesehen habe, waren hungernde Menschen. Ich habe mich gefragt, wie es dir gelingen sollte, hier zu überleben.«
Zitternd holte er Luft. »Kumpel …«, brachte er heraus. »Kumpel ist tot.«
Ihr Griff um seinen Hals wurde fester. Sie weinte. Er weinte mit ihr. Nun war seine Benommenheit verschwunden, und angesichts dieser geteilten Schmerzen ließ er seinen Gefühlen freien Lauf.
Die Tür zum Besucherbereich wurde geöffnet, und eine Gestalt trat ein. Nico hob den Blick, wischte sich die Tränen aus den Augen – und ihm fiel der Unterkiefer herunter.
Es war der Farlander, der alte Mann, dem er am vergangenen Nachmittag das Geld gestohlen hatte.
Der Neuankömmling stand auf der Schwelle, hielt den Kopf schräg, und in seiner Hand befand sich ein Lederbecher mit dampfendem Chee. Er war kleiner, als er im Bett gewirkt hatte. Mit dem geschorenen Kopf und
der schwarzen Robe wirkte er wie ein Mönch – allerdings wie ein sehr seltsamer Mönch, denn in der anderen Hand trug er ein Schwert in der Scheide. Nicos Mutter machte sich von ihm los und sah den Fremden ebenfalls an.
Der Mann bewegte sich geschmeidig über den Steinboden und blieb vor Nico und seinen Besuchern mit einer Bewegung stehen, die der schaukelnden Oberfläche des Chee in seinem Becher nicht unähnlich war: aufgewühlt und gelassen zugleich.
Aus der Nähe hatten die Augen des Farlanders die Farbe von toter Asche, auch wenn ihr Blick sehr eindringend war. Fast hätte Nico einen Schritt nach hinten gemacht. Nichts war mehr zu sehen von dem verwirrten alten Mann, der aus seinen Träumen aufgewacht war und sich umgeschaut hatte, als wäre er blind.
»Ist das der Dieb?«, wollte er von Nicos Mutter wissen.
Sie wischte sich die Augen trocken und richtete sich auf. »Das ist mein Sohn«, verkündete sie, »und er ist eher ein Narr als ein Dieb.«
Einige Sekunden lang betrachtete der Mann Nico kühl, als würde er einen Hund mustern, den er zu kaufen gedachte. Er nickte. »Dann will ich ein Wort mit dir reden.«
Er ging zu einem der Schemel, die in der Mitte des Gewölbes standen, und setzte sich. Den Rücken hielt er dabei ganz gerade, und das Schwert lag quer auf seinem Schoß. »Ich bin Asch«, verkündete er. »Egal ob er ein Narr ist oder nicht, dein Junge hat mein Geld gestohlen.«
Nicos Mutter schien zu spüren, dass nun so etwas wie
der geschäftliche Teil kam, und sie wurde wieder so ruhig und gelassen wie üblich. Sie setzte sich vor den Farlander auf einen weiteren Schemel. »Reese Calvone«, stellte sie sich ihm vor.
Loos trat hinter sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. Er war offensichtlich angespannt. Sie schob die Hand beiseite, und er zog sich zur gegenüberliegenden Wand zurück – so nahe bei der Tür, wie es ihm möglich war. Er beobachtete die beiden still aus den Augenwinkeln heraus.
»Dein Sohn wird ausgepeitscht und gebrandmarkt werden«, fuhr der alte Mann fort, »so wie es hier bei euch üblich ist. Ich habe gehört, dass auf einfachen Diebstahl fünfzig Peitschenhiebe stehen.«
Reese nickte, als ob es eine Frage an sie gewesen wäre.
»Das ist eine harte Sache.«
Ihre grünen Augen verengten sich, und sie warf einen raschen Blick auf Nico, bevor sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf den Fremden vor ihr richtete.
»Du nimmst es gelassen auf«, bemerkte er.
»Bist du hergekommen, um dich diebisch darüber zu freuen, alter Mann?«
»Wohl kaum. Um den Sohn kennenzulernen, wollte ich zuerst die Mutter
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