Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
gebracht?«
Nico verspürte nicht den Wunsch, diese ganze traurige Angelegenheit vor einem Fremden auszubreiten. »Mein Heiler hat gesagt, es wäre gut für meine Lunge, also komme ich von Zeit zu Zeit hier herunter.«
»Den Vater war ebenfalls ein Witzbold«, erwiderte die Stimme ohne eine Spur von Humor. »Das habe ich an ihm geschätzt.«
Nico nahm in diesen Worten eine gewisse Schärfe wahr und wartete darauf, dass der Mann weitersprach. Der Tabakrauch kräuselte sich um sein Gesicht; der Duft war angenehm an diesem Ort der Fäulnis. Er erinnerte Nico an Nächte beim Lagerfeuer in einem Park oder leeren Gebäude zusammen mit Lena und den anderen, die er in der Zeit seiner Obdachlosigkeit kennengelernt hatte. Nico hatte Witze gerissen und zugesehen, wie die
Flaschen billigen Weins und die Zigaretten aus Teerkraut zwischen ihnen gekreist waren. Er hörte noch das raue Gelächter, während der warme Lichtkreis den schwierigen Tag, der unausweichlich vor ihnen lag, zurückdrängte. »Wir sind nicht immer einer Meinung gewesen«, fuhr der Mann in seiner langsamen, verbitterten Sprechweise fort. »Er hat mir einmal vorgeworfen, ich hätte beim Hastelspiel betrogen. Aber dabei konnte er’s natürlich nicht belassen. Musste mich unbedingt vor der ganzen Schwadron bloßstellen. Dein Vater hat mich ’ne Menge Geld gekostet. Hab’s dem Mann aber heimgezahlt. «
Es folgte ein Husten, das auch trockenes Gelächter hätte sein können.
»Um ehrlich zu dir zu sein, hat’s mich nicht sonderlich überrascht, als er sich aus dem Staub gemacht hat und desertiert ist. Als ich seinen ängstlichen Blick zum letzten Mal gesehen hab’, war mir klar, was er dachte. Ich hab’s so klar wie am helllichten Tag gesehen.«
Nico biss die Zähne zusammen. Seine Nasenflügel bebten. Er holte tief Luft und sagte kühl: »Mein Vater war kein Feigling.«
Wieder dieses Husten. »Das hab ich damit auch nicht gemeint. Jeder ist ein Feigling, wenn’s drauf ankommt, außer den Verrückten. Manche haben bloß mehr Angst als andere, das wollte ich sagen.«
Nicos Atmen war nun so laut, dass es über dem Schnarchen der anderen deutlich zu hören war.
»Ganz ruhig. Ich will nur reden, und Reden ist keinen Streit wert. Hier, nimm ’nen Zug.«
Nico beachtete das brennende Ende des Zigarillos nicht, das der andere ihm vors Gesicht hielt.
Stattdessen dachte er an seinen Vater: an die große, aufrechte Gestalt aus seiner Erinnerung, mit langen Haaren und freundlichen Augen, und an seine sanften Worte. An denselben Mann, wie er wild lachte, einen Bierkrug in der Hand hielt und seine Mutter um die Hüfte packte, weil er mit ihr tanzen wollte, oder wie er seine Sitare nahm und ein schlecht komponiertes Lied darauf spielte. An den Ausflug, den sie beide in die einsamen Berge gemacht hatten. An einen sonnigen Narrentag, als er Nico mit an irgendeinen Strand genommen hatte, damit er selbst aufs Meer hinausschauen konnte, während Nico im Ufersand spielte.
Nico war zehn Jahre alt gewesen, als sich sein Vater bei der Sondereinheit verpflichtet hatte. Es hieß, der Feind bedränge die Stadt schlimmer denn je. Jeden Tag wurde irgendein neuer mhannischer Tunnel entdeckt, oder die Mhannier brachen in die unterirdischen Verteidigungsanlagen ein. Die Sondereinheiten hatten große Verluste erlitten und brauchten dringend Freiwillige.
Jeweils einen ganzen Monat lang war Nicos Vater in die Stadt gegangen und hatte unter den Mauern des Schildes gekämpft, danach war er immer als veränderter Mann heimgekommen. Bei jeder Rückkehr war er schweigsamer und weniger ansehnlich gewesen.
Einmal hatte er ein Ohr verloren, und nur eine Öffnung war auf dieser Seite seines Kopfes verblieben. Doch Reese hatte ihn trotzdem umarmt und so laut zärtliche Worte in sein verletztes Ohr gemurmelt, dass Nico
es hören konnte. Sie hatte seinem Vater gesagt, wie erleichtert sie sei, dass er noch lebte. Ein anderes Mal hatte sein Vater mit einem Verband um den Kopf vor der Tür gestanden. Als er diesen einige Tage später abgenommen hatte, hatte es so ausgesehen, als ob ein Hund sein verbliebenes Ohr angebissen hätte. Mit der Zeit verblassten seine Augenbrauen, bis sie ganz verschwunden waren. Sein langes Haar wurde zu einem Stoppelfeld. Narben zogen sich kreuz und quer über Kopfhaut, Gesicht und Lippen. Er zog die einst so breiten Schultern hoch, als wäre ihm andauernd kalt.
Nicos Mutter versuchte ihr Entsetzen über diese Veränderungen an dem Mann, den sie liebte, zu
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