Farmer, Philip José - Flusswelt 02
als mein Großvater mich das erstemal in den Armen hielt, nannte er mich Odysseus.«
Alles was Sam in diesem Moment einfiel, war: »Wir werden uns über eine Menge Dinge zu unterhalten haben.«
Konnte dies wirklich der Mann sein, den Homer besungen hatte? Der echte Odysseus, der historische Odysseus, der wirklich vor den Mauern der Stadt Troja kämpfte und um dessen Leben sich später Legenden gerankt hatten? Warum nicht? Der geheimnisvolle Mann, der in Sams Hütte erschienen war, hatte davon gesprochen, daß er aus all den Millionen ihm zur Verfügung stehenden Menschen zwölf herausgepickt hatte. Nach welchen Kriterien er dabei vorgegangen war, war Sam zwar unklar, aber da er ebenfalls diesen Auserwählten angehörte, konnten sie wohl so schlecht nicht sein. Und der geheimnisvolle Fremde hatte ihm gegenüber zumindest einen Namen erwähnt: Richard Francis Burton. Gab es um diese zwölf Auserwählten irgendeine Aura, an der der fremde Renegat erkannte, daß nur sie allein dazu fähig waren, die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, zu erfüllen? Irgendeine Art Seelenbrüderschaft?
Spät in der Nacht, nach Abschluß der Siegesfeier, kehrten Sam, Lothar, Joe und der Achäer in ihre Hütten zurück. Sams Kehle war vom vielen Reden beinahe ausgedörrt, denn er hatte versucht, so viel wie möglich über den Untergang Trojas und Odysseus’ anschließende Fahrten herauszufinden. Und Odysseus hatte ihm so viel erzählt, daß Sam jetzt der Schädel brummte.
Jenes Troja, das Odysseus kannte, hatte nichts mit dem zu tun, das am Hellespont lag und dessen Ruinen irdische Wissenschaftler Troja VIIa nannten. Das wirkliche Troja, das er mit Agamemnon und Diomedes zu Fall gebracht hatte, lag weiter südlich, gegenüber der Insel Lesbos, allerdings etwas weiter im Landesinneren und nördlich des Flusses Kaikos. Dort hatten Menschen gelebt, die Beziehungen zu den in Kleinasien lebenden Etruskern unterhielten, bevor diese von den hellenischen Invasoren nach Italien verjagt wurden. Die andere Stadt, von der spätere Generationen angenommen hatten, sie sei das richtige Troja, kannte Odysseus allerdings auch. Sie war von dardanischen Barbaren bevölkert gewesen, die ebenfalls Beziehungen zu Troja unterhielten. Die Stadt war aber bereits fünf Jahre vor dem Fall des echten Troja von Barbaren aus dem Norden niedergebrannt worden.
Drei Jahre nach dem Fall Trojas (der Kampf hatte zwei Jahre gedauert), hatte Odysseus sich an dem großen Seeüberfall der Danäer oder Achäer gegen das Ägypten Ramses III. beteiligt. Die ganze Sache hatte aber in einem Fiasko geendet, weshalb er anschließend drei Jahre auf der Flucht verbracht hatte. Er war nach Malta, Sizilien und in andere Teile Italiens gekommen; in Länder, die den Griechen damals noch weitgehend unbekannt waren. Und es hatte weder Begegnungen mit Laestrigoniern noch mit Äolus, Calypso, Circe oder Polyphem gegeben. Zwar hatte seine Frau den Namen Penelope getragen, aber die Geschichte, er hätte all jene Freier, die um ihre Hand anhielten, umgebracht, war eine reine Erfindung.
Was Gestalten wie Achilles und Hector anbetraf, so waren sie ihm lediglich aus einem Lied bekannt. Odysseus nahm an, daß es sich bei ihnen um zwei Pelasgier handelte, Angehörige eines Volkes, das auf der griechischen Halbinsel gelebt hatte, bevor die Achäer aus dem Norden gekommen waren und sie eroberten. Die Achäer hatten das pelasgische Lied einfach übernommen und für ihre Zwecke adaptiert; irgendwann war es dann in die Ilias aufgenommen worden. Odysseus kannte sowohl die Ilias wie auch die Odyssee, da er auf einen Professor gestoßen war, der beide Werke auswendig kannte.
»Und was war mit dem trojanischen Pferd?« fragte Sam, der erwartete, mit dieser Frage den Vogel abzuschießen. Zu seiner Überraschung gab Odysseus nicht nur zu, darüber informiert zu sein, sondern er erklärte auch, daß das tatsächlich seine Idee gewesen wäre. Die ganze Sache sei ein verzweifelter Trick gewesen und wäre beinahe schiefgegangen.
Dies überraschte Sam am meisten, denn die Historiker waren sich in diesem seltenen Falle in einem solchen Maße einig gewesen, daß es sich bei dieser Geschichte lediglich um einen Mythos handelte. Niemand glaubte wirklich an sie. Natürlich hatten sie recht mit dem Argument, daß der Gedanke, die Achäer seien auf eine solche Idee gekommen, ziemlich unwahrscheinlich war – und wer konnte im Ernst annehmen, daß die Trojaner dumm genug gewesen waren, auf einen solch billigen Trick
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