Farmer, Philip José - Flusswelt 02
ihrem Rücken ein Kampf stattgefunden, bei dem sechs von Sams Männern das Leben verloren hatten und weitere vier verwundet worden waren. Die Wikinger kämpften mit stoischer Verbissenheit und gaben nicht auf. Erst als sie ebenso tot wie ihr König am Boden lagen, herrschte Stille.
Sam Clemens lehnte sich heiser keuchend auf seinen Speer. Er war mit dem Blut der anderen von oben bis unten bespritzt und blutete selbst aus einer Schulterwunde. Er hatte einen Menschen umgebracht, einen Wikinger namens Gunnlaugr Thorrfinnsson, und zwar in genau der gleichen Sekunde, als dieser Anstalten machte, von Richthofen zu töten. Schade um den Mann. Thorrfinnsson war Sam von allen Wikingern der liebste gewesen, denn er war der einzige, der über seine Späße hatte lachen können. Und jetzt war er tot. Von hinten von einem Freund erstochen.
Ich habe achtunddreißig Schlachten geschlagen, dachte Sam, und trotzdem bisher nur zwei Menschen umgebracht. Der andere war ein bereits verwundeter Türke gewesen, der sich gerade wieder auf die Beine erheben wollte. Sam Clemens, der mächtige Krieger, der weichherzige Held. Als er darüber nachdachte, fiel sein Blick auf die Leichen der anderen. Er empfand Entsetzen bei diesem Anblick, und er wußte sicher, daß sich dies auch in zehntausend Jahren nicht ändern würde.
Und dann heulte er auf und versuchte in panischem Schreck der Hand zu entgehen, die plötzlich nach seinem Bein griff. Da ihm das nicht gelang, riß er den Speer hoch. Er hatte die feste Absicht, ihn in den Körper des Mannes zu rammen, der ihn gepackt hielt. Als Sams Blick nach unten wanderte, starrte er in die blaßblauen Augen des Wikingers Erik Blutaxt. Es schien, als sei er noch einmal für einen kurzen Augenblick ins Leben zurückgekehrt. Sein glasiger Blick war verschwunden und seine Haut war weniger grau als zuvor. Obwohl seine Stimme nur schwach war, war sie dennoch laut genug, daß Sam und die anderen sie hören konnten.
»Bikkja! Ausgeburten des Misthaufens, hört mir zu! Ich werde euch nicht gehen lassen, bevor ihr meine letzten Worte vernommen habt. Die Götter haben mich mit der Kraft eines Voluspa ausgestattet, sie schreien nach Rache für diesen Verrat! Hört mir gut zu. Ich weiß, daß unter diesem blutbesudelten Boden viel Eisen verborgen liegt. Ich fühle, wie es in meinen Adern fließt. Das Eisen macht mein Blut dick und kalt. Es gibt Eisen hier, viel mehr, als man braucht, um daraus ein großes, weißes Boot zu schmieden. Ihr werdet es dem Boden entreißen und daraus ein Schiff machen, um gegen die Skithblathnir zu ziehen. Und du wirst der Kapitän dieses Schiffes ein, Clemens Hundesohn. Du wirst auf diesem Fluß mehr Meilen zurücklegen, als Sleipnirs acht Beine an einem Tage schaffen könnten. Du wirst hin und her fahren, nach Norden, Süden, Osten und Westen; dorthin, wohin der Fluß dich trägt. Und du wirst dabei mehrere Male die ganze Welt umrunden.
Aber der Bau dieses Schiffes und die Reise selbst wird bitter werden und voller Kummer. Und nach Jahren, die zwei irdische Generationen umfassen, nach großen Leiden und nur wenigen Freuden – wenn du fest daran glaubst, das Ende der Fahrt vor Augen zu haben –, wirst du mich wiedersehen!
Das heißt, ich werde dich wiedersehen. Ich werde in einem anderen Schiff auf dich warten und dich töten. Du wirst ebenso wenig das Ende des Flusses erreichen, wie Stürme einzudringen vermögen durch das Tor von Walhalla!«
Sam schüttelte sich. Er fühlte sich plötzlich sehr klein und zerbrechlich. Selbst als der Griff um sein Bein schlaffer wurde, wagte er es nicht, sich zu rühren. Er hörte die Knochen des Sensenmannes klappern, aber er schaute nicht nach unten.
Mit matter Stimme sagte Blutaxt: »Ich werde da sein und auf dich warten!«
Dann ließ die Hand ihn los. Sam mußte sich beinahe dazu zwingen, einen Schritt von Blutaxts Leiche wegzutun, und rechnete fast damit, bei der ersten Bewegung in tausend Stücke zu zerfallen. Dann schaute er von Richthofen an und sagte: »Abergläubisches Geschwätz! Kein Mensch kann in die Zukunft sehen!«
Von Richthofen meinte: »Das glaube ich auch nicht. Aber wenn die Dinge sich so abspielen, wie du vermutest, Sam – mechanisch, automatisch –, dann ist unsere Zukunft vorherbestimmt. Wenn die Dinge so sind, warum soll die Zukunft sich dann nicht auch für eine Minute öffnen können und es einem Menschen gestatten, einen Blick in den Tunnel der Zeit zu werfen?«
Sam gab ihm keine Antwort. Schließlich lachte von
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