Farmer, Philip José - Flusswelt 02
dunkelbraunem Haar durch den Ausgang von König Johns Pfahlpalast gehen. Hinter ihm kamen seine Leibwächter und Speichellecker.
Offensichtlich wollte er verhindern, daß von Richthofen Sam Clemens irgendwelche geheimen Botschaften von Elwood Hacking überbrachte.
Der Ex-Monarch von England und gegenwärtige Mitbeherrscher von Parolando trug einen rotweißkarierten Kilt, einen aus Tüchern bestehenden ponchoartigen Umhang und knielange Flußdrachenstiefel. Um seine fetten Hüften schlang sich ein breiter Gürtel, an dem mehrere stählerne Messer in Scheiden, ein Kurzschwert und eine Stahlaxt baumelten. In einer Hand hielt er ein eisernes Koronet, das Zeichen seiner adligen Abkunft. Auch dies hatte einst zu den Streitpunkten zwischen ihm und Sam gehört, da dieser es für eine reine Verschwendung von Metall hielt, sich mit Zeptern zu behängen. Zudem hielt Sam dieses Ding für einen sinnlosen Anachronismus; aber John hatte darauf bestanden, und so hatte er schließlich nachgeben müssen.
Immerhin empfand er einige Befriedigung, wenn er an den Namen dachte, den sie ihrem kleinen Land gegeben hatten: Parolando war Esperanto und bedeutete, da diese Region zwei Herrscher aufzuweisen hatte, Zweierland. Was Sam König John allerdings wohlweislich verschwiegen hatte, war, daß man es ebenso gut mit Twainland* übersetzen konnte.
John ging über einen Pfad aus festgetretener Erde an einem langgestreckten, niedrigen Fabrikgebäude vorbei und näherte sich Sams Hauptquartier. Sein Leibwächter, ein riesiger Schläger namens Sharkey, betätigte für ihn die Klingel.
* »Mark Twain«, das Pseudonym des Schriftstellers Samuel Langhorne Clemens, ist von einem Begriff aus der Mississippi-Missouri-Schiffahrt abgeleitet und bedeutet soviel wie »zwei Faden Tiefe«. Clemens selbst war jahrelang Lotse auf Mississippi-Dampfschiffen. So wählte er diesen Ausdruck, als er zu schreiben begann, zu seinem Schriftstellernamen.
Sam steckte den Kopf aus dem Fenster und rief: »Komm an Bord, John!«
König John warf ihm von unten herauf aus seinen blaßblauen Augen einen Blick zu und forderte dann Sharkey auf, allein vorzugehen. Er vermutete überall Meuchelmörder – und das nicht ohne Grund. Außerdem paßte es ihm nicht, daß er zu Sam kommen mußte, anstatt daß dieser sich dazu bequemte, bei ihm aufzutauchen; aber da er genau darüber im Bilde war, wen von Richthofen als ersten aufsuchte, hatte er keine andere Wahl.
Sharkey trat ein, inspizierte Sams Brücke und schnüffelte auch in den anderen Räumen herum. Plötzlich erklang ein grollendes, tiefes Brummen, wie von einem Löwen. Es kam aus dem hinteren Schlafraum. Eilig kehrte Sharkey zurück und zog leise die Tür hinter sich zu.
Sam lächelte und sagte: »Joe Miller mag zwar krank sein, aber er ist auch dann noch dazu fähig, zehn Preisboxer zum Frühstück zu verzehren und anschließend einen Nachschlag zu verlangen.«
Sharkey gab keine Antwort. Er gab John durch das Fenster das Signal, daß er hinaufkommen könne, ohne etwas befürchten zu müssen.
Der Katamaran hatte nun angelegt, und die kleine Gestalt von Richthofens kam, in der einen Hand einen Gral, in der anderen den mit hölzernen Schwingen ausgestatteten Parlamentärsstab, über die Ebene. Durch ein anderes Fenster sah er die schlaksige Figur Bergeracs, der eine Gruppe von Männern auf den Südwall zuführte. Livy war nirgendwo zu entdecken.
John trat ein.
»Bonom matenon, Johano«, sagte Sam.
Es stank John gewaltig, daß Sam sich weigerte, ihn mit Via Rega Mosto – Eure Majestät – anzusprechen. Sogar die offiziellen Titel, die sie beide in Parolando trugen – La Konsulo –, kamen selten freiwillig über Sams Lippen. Es gefiel ihm einfach, sich von den anderen La Estro, der Boß, nennen zu lassen, weil das John noch mehr ärgerte.
Mit einem Grunzen ließ John sich an Sams rundem Tisch nieder. Ein anderer seiner Leibwächter, ein großer, finsterer Frühmongole mit schweren Knochen und unglaublich starken Muskeln, der Zaksksromb hieß und mindestens dreißigtausend Jahre vor Christus das Zeitliche gesegnet hatte, zündete John eine riesige, braune Zigarre an. Zak, das war allgemein bekannt, war der stärkste Mann in Parolando – nach Joe Miller, der, wenn man genau war, nicht zu den Menschen gehörte; zumindest aber kein Vertreter der Gattung Homo sapiens war.
Sam wünschte sich, daß Joe aufstand. Zak machte ihn nervös. Aber daraus würde wohl nichts werden, denn Joe hatte Traumgummi genommen, um seine
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