Farmer, Philip José - Flusswelt 02
herumgewirbelt werden, bis Sam sie anhielt und nach und nach – mit verbundenen Augen – hundert Namen aus ihr herauszog. Und die Glücklichen, deren Namen vorgelesen werden würden, konnten sich von da an zur Besatzung der Nicht vermietbar zählen.
Die Nicht vermietbar mußte, wenn die Angaben des Fremden stimmten, an die fünf Millionen Meilen zurücklegen. Wenn man einen Durchschnitt von 335 Meilen pro vierundzwanzig Stunden rechnete, würde es mehr als einundvierzig Jahre dauern, bis das Ende des Flußlaufes erreicht war. Aber natürlich war das die unterste Zeitgrenze, denn unzweifelhaft würde die Mannschaft dann und wann für längere Zeit an Land gehen oder Reparaturen auszuführen haben. Es war nicht einmal unmöglich, daß das Schiff an reinem Verschleiß zugrunde ging, ungeachtet der Tatsache, daß Sam versuchen wollte, so viele Ersatzteile wie nur möglich mitzunehmen. Wenn es erst einmal unterwegs war, gab es keine Möglichkeit mehr umzukehren oder anderswo das an Bord zu nehmen, was man benötigte: Das Land, das vor ihnen lag, enthielt kein Metall, das ihnen von Nutzen sein konnte.
Es war ein seltsames Gefühl, sich vorzustellen, daß er einhundertvierzig Jahre alt sein würde, wenn sie die Quellen des Flusses endlich erreichten.
Aber was zählte das schon, wenn eine mehrtausendjährige Jugend vor einem lag?
Sam warf einen Blick durch die gewölbten Fenster. Die Ebene war jetzt voller Menschen, die von den Hügeln herabkamen und in die Fabriken strömten. Ebenso würde es in jenen Hügelzonen aussehen, die er im Moment nicht einsehen konnte. Eine kleine Armee mußte jetzt damit beschäftigt sein, an dem großen Damm im Nordwesten, direkt am Fuß der Berge, zu arbeiten: Dort entstand zwischen zwei steilen Hügeln eine Betonmauer, die das Wasser auffangen sollte, das von einer in den Bergen liegenden Quelle herabsprudelte. Wenn der hinter der Mauer liegende Stausee erst einmal voll war, würde das überflüssige Wasser ihnen dazu dienen, Generatoren anzutreiben, die die Mühlen in Bewegung versetzten.
Gegenwärtig kam die benötigte Energie aus einem Gralstein. Ein gigantischer Transformator aus Aluminium entnahm ihm die Energie dreimal am Tag und führte sie durch Aluminiumleitungen einer zweistöckigen Anlage zu, die man den Batacitor nannte. Hierbei handelte es sich um eine Erfindung des späten zwanzigsten Jahrhunderts, die in einer hundertstel Mikrosekunde Hunderte von Kilovolt in sich aufnehmen und in Einheiten zwischen einem Zehntel Volt bis hundert Kilovolt wieder abgeben konnte. Bei dieser Apparatur handelte es sich um den Prototyp des Geräts, das später auf der Nicht vermietbar eingesetzt werden würde. Zur Zeit wurde die Energie hauptsächlich zu einem von van Boom entwickelten Zerkleinerungsverfahren verwendet, um die Nickeleisenstücke zu zerschneiden, die man aus der Ebene grub. Natürlich wurde sie ebenfalls dazu verwendet, das Metall zu schmelzen. Das Aluminium für die Leitungen und den Batacitor selbst waren unter harter Arbeit aus Aluminiumsilikat angefertigt worden, den man dem Lehm, der unter dem Grasboden am Fuß der Berge lag, entnommen hatte. Aber diese Quelle war jetzt versiegt. Der einzige auf ökonomisch vernünftigem Wege abzubauende Rohstoff lag in Soul City.
Sam setzte sich an seinen Schreibtisch, zog eine Schublade heraus und entnahm ihr ein großformatiges, in Fischblasenleder gebundenes Buch, dessen Seiten aus Bambusfaserpapier hergestellt waren. Es war sein Tagebuch und trug den Titel Die Memoiren eines Lazarus. Bisher hatte er, um seine Reflexionen und die alltäglichen Geschehnisse, die ihm wichtig erschienen, niederschreiben zu können, dies mit einer Tinte getan, die aus Wasser, dem bräunlichen Extrakt von Eichenrinde und frischer Holzkohle bestand. Wenn die Technologie von Parolando erst einmal genügend fortgeschritten war, würde er irgendwann den elektronischen Aufzeichner benutzen, den van Boom ihm versprochen hatte.
Er hatte kaum mit seinen Aufzeichnungen angefangen, als die Trommeln zu schlagen begannen. Die großen Baßtrommeln signalisierten Bindestriche, die kleinen Soprantrommeln Punkte. Sie bedienten sich des Morsealphabets in Esperanto.
Von Richthofen würde in ein paar Minuten anlegen.
Sam stand erneut auf und blickte hinaus. In einer Entfernung von einer halben Meile war der Bambus-Katamaran zu erkennen, mit dem Lothar von Richthofen zehn Tage zuvor flußabwärts gereist war. Durch das Steuerbordfenster sah Sam eine gedrungene Gestalt mit
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