Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
dich nicht stark gemacht.«
Obwohl die versammelten Männer ihr ausnahmslos gratulierten, trugen manche ziemlich saure Gesichter zur Schau. Cyrano jedoch schien dermaßen erfreut zu sein, daß er Jill beinahe an sich gezogen und geküßt hätte. Da er aber genau wußte, wie wenig sie davon hielt, wenn man sie berührte, unterließ er es. Einer plötzlichen Eingebung folgend tat Jill überraschenderweise das, was er hatte tun wollen: sie drückte ihn an ihre Brust und gab ihm einen flüchtigen Kuß auf die Wange. Sie hatte nicht übersehen, daß es ihn danach drängte, sein einstiges Verhalten wieder gutzumachen.
Zwanzig Minuten später stürzte sie sich zusammen mit Firebrass, Metzing, Piscator und zehn anderen Technikern auf die Konstruktionspläne des großen Luftschiffes. Die Vorarbeiten hatten drei harte Wochen in Anspruch genommen, und an jedem dieser Tage waren zwölf bis vierzehn Arbeitsstunden obligatorisch gewesen. Statt Hunderte von Zeichnungen auf Papier zu übertragen, hatten sie sich der Dienste des Computerzeichners versichert, der nicht nur viel schneller und genauer arbeitete, sondern jeden Strich auch noch mehrmals überprüfte. Natürlich hatte man ihn vorher programmieren müssen, aber auch bei dieser Tätigkeit war Jill dabeigewesen. Ihr lagen Jobs dieser Art; sie waren kreativ und gaben ihr die Möglichkeit, mit mathematischen Gleichungen umzugehen.
All das trug allerdings auch zu einer starken nervlichen Belastung bei. Um daran nicht zu verzweifeln und gleichzeitig in Form zu bleiben, ging sie jeden Tag zwei Stunden lang zum Fechten. An die Waffen der Flußwelt, die mit denen der Erde wenig gemeinsam hatten, mußte sie sich erst gewöhnen: die Klinge eines hiesigen Rapiers war schwerer und widerstandsfähiger als die eines irdischen. Da außerdem im Ernstfall jeder Körperteil ein Ziel bildete, war es schon deswegen erforderlich, sich auch während der Übungsstunden weitgehend mit Schutzpolstern einzudecken.
»Dies hier ist kein Spiel«, pflegte Cyrano zu sagen. »Hier geht es um mehr als nur einen Punktsieg. Irgendwann wird auch für Sie der Tag kommen, an dem Sie vor der Wahl stehen, ob Sie sich von Ihrem Gegner durchbohren lassen oder ihm die eigene Klinge bis zum Heft in den Leib jagen.«
Jill war früher eine ausgezeichnete Fechterin gewesen. Ihr Trainer, ein olympischer Goldmedaillengewinner, war stets der Ansicht gewesen, sie habe das Zeug, um in die Endausscheidung für die Weltmeisterschaft zu kommen, wenn sie nur genügend trainierte. Aber leider war das niemals möglich gewesen: ihr Job hatte es einfach nicht erlaubt, zuviel Zeit auf einem Fechtboden zu verbringen. Dennoch hatte Jill jede sich bietende Möglichkeit zum Training wahrgenommen. Sie mochte diesen Sport; in gewisser Beziehung erschien er ihr wie eine Art physisches Schach – und auch Schach war ein Spiel, dessen Zauber sie sich nur selten zu entziehen vermochte.
Es machte Spaß, die Klinge in die Hand zu nehmen und all die lange nicht mehr praktizierten – keinesfalls jedoch vergessenen – Tricks erneut zu lernen und auszuführen, und ebenso erfreute es sie, festzustellen, daß es ihr gelang, den größten Teil der männlichen Gegner zu schlagen. Obwohl sie sich anfangs stets ein wenig zurückhielt, veränderte sie sich schlagartig, sobald sie den Griff eines Rapiers in der Hand spürte; von da an verwandelte sie sich in ein Musterbeispiel von Gewandtheit und Schnelligkeit.
Es gab nur zwei Männer, die ihr überlegen waren: der eine hieß Radaelli und war Autor des Buches Istruzioni per la Schema di Spada a di Sciabola (1885); der andere, dessen Meisterschaft niemand in Frage stellte, war Savinien Cyrano de Bergerac.
Jill wunderte sich darüber, denn zu seinen Lebzeiten hatte das Fechten keineswegs zu den Künsten gehört, die durch besonders ausgereifte Techniken geglänzt hätten. Erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts war es vervollkommnet worden. Cyrano jedoch war in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts – mithin noch vor der Erfindung des Floretts – gestorben. Zu seiner Zeit hatte man noch Kampftechniken gehabt, die man aus heutiger Sicht nur als primitiv bezeichnen konnte. Die Italiener hatten zwar bereits im frühen siebzehnten Jahrhundert einige Grundregeln des modernen Schwertkampfes formuliert, aber dennoch waren bis zu ihrer Vervollkommnung noch zwei Jahrhunderte vergangen.
Dennoch genoß Cyrano den Ruf des größten Fechters aller Zeiten, und er brauchte sich nicht zu scheuen, sein
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