Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
ihr Herz wie rasend zu klopfen. Sie kannte ihn zwar nicht, aber das mußte nichts heißen, denn es gab Dutzende von ehemaligen Luftschiffpiloten aus der Zeit der Hindenburg, deren Fotografien sie nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie kannte nicht einmal jeden, der zu ihren Lebzeiten ein Kollege gewesen war, und abgesehen davon zeigten jene alten Bilder in der Regel Männer in den mittleren Jahren in Zivilkleidung oder Uniformen. Und nicht wenige davon trugen Barte.
»Chefingenieur Firebrass«, stellte Agatha Rennick die Männer einander vor. »Barry Thorn.«
Der Neuankömmling trug Fischhautsandalen, einen leuchtenden rot-, weiß- und blaugestreiften Kilt und einen langen, schwarzen Umhang, der am Hals von einer Spange zusammengehalten wurde. In der einen Hand hielt er den Griff seines persönlichen Grals, in der anderen einen großen Fischhautbeutel.
Der Mann war etwa einen Meter siebzig groß und hatte unglaublich breite Schultern. In Jill erweckte er den Eindruck eines Bullen. Dennoch waren seine Beine im Verhältnis zu seinem Rumpf ziemlich lang und muskelbepackt. Sein Brustkorb und die langen Arme ließen ihn fast einem Gorilla ähneln, der kein Brustfell hatte.
Kurzes, gekräuseltes Blondhaar umrahmte ein breites Gesicht. Die Augenbrauen hatten die Farbe hellen Strohs, seine Augen waren blau. Der Mann zeigte, als er lächelte, zwei Reihen gesunder, weißer Zähne. Sein Kinn sprang etwas vor, war abgerundet und zeigte einen kerbenähnlichen Einschnitt. Er hatte kleine, eng am Kopf anliegende Ohren.
Auf Firebrass’ Einladung hin legte er seine Last ab und entkrampfte die Finger, als hätte er sein Gepäck lange Zeit nicht aus den Händen gelegt. Möglicherweise hatte er aber auch eine lange Strecke paddelnd in einem Kanu zurückgelegt. Trotz der Breite seiner Handflächen hatte er lange und schlanke Finger.
Der Mann schien ziemlich versessen darauf zu sein, ein Gespräch mit ihnen zu führen und über seine Qualifikationen Auskunft zu geben, auch wenn er hier völlig fremden Menschen gegenübersaß. Tatsächlich strahlte er etwas aus, das wie Rechtschaffenheit wirkte und eine Anziehungskraft hatte, die Jill an den oft mißbräuchlich verwendeten und überstrapazierten Ausdruck »Charisma« denken ließ.
Erst später fand sie heraus, daß der Mann dazu in der Lage war, diese Ausstrahlung anzuschalten wie eine Lampe, um plötzlich völlig eins zu werden mit dem, was ihn als Hintergrund umgab. Ein psychisches Chamäleon.
Als Jill Piscator einen kurzen Blick zuwarf, stellte sie fest, daß der Japaner außerordentlich neugierig auf den Fremden war. Seine schwarzen Augen verengten sich, und er hielt den Kopf in einer solch merkwürdigen Art schief, als lausche er einem fernen, kaum hörbaren Klang.
Firebrass und Thorn schüttelten sich die Hände.
»Jemine, welch ein Griff! Es freut mich, Sie an Bord zu haben, Sir, wenn Sie wirklich der sind, den Agatha mir ankündigte! Nehmen Sie Platz und strecken Sie die Beine aus. Haben Sie eine lange Reise hinter sich? Tatsächlich? Vierzigtausend Steine? Darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten? Kaffee? Tee? Schnaps oder Bier?«
Thorn lehnte bis auf den Stuhl alles ab. Er sprach in einem vertrauenerweckenden Bariton und unterließ es, all die Pausen, Verzögerungen und Halbsätze zu verwenden, in denen die meisten Leute sich artikulieren.
Nachdem er erfahren hatte, daß Thorn Kanadier war, wechselte Firebrass vom Esperanto ins Englische über. Ein paar Minuten später hatte er bereits die Kurzbiographie des Neuankömmlings.
Barry Thorn war im Jahre 1920 auf der Farm seiner Eltern in der Nähe von Regina/Saskatchewan zur Welt gekommen. Nachdem er ein Studium der Elektromechanik abgeschlossen hatte, war er während eines Aufenthalts in England 1938 zur britischen Marine gegangen. Er hatte während des Krieges ein kleines Marineluftschiff kommandiert, nach Kriegsende eine Amerikanerin geheiratet und war in die USA gezogen, da seine Frau, die aus Ohio stammte, darauf bestand, in der Nähe ihrer Eltern zu leben. Abgesehen davon waren ihm dort die Möglichkeiten für Luftschiffpiloten günstiger erschienen.
Thorn hatte sich eine kommerzielle Pilotenlizenz verschafft und den Plan gehabt, in die Dienste einer amerikanischen Luftfahrtgesellschaft zu treten. Nach seiner Scheidung hatte er seinen Job bei Goodyear aufgegeben und mehrere Jahre im kanadischen Yukon-Territorium als Buschpilot verbracht. Nach dem Tod seiner zweiten Frau war er zu einer neuentstandenen
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