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Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03

Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03

Titel: Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das dunkle Muster
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Von Südarabien aus fuhr er auf einem Kauffahrerschiff an die Ufer von Sansibar und dann nach Südostafrika. Nach seiner Rückkehr nach Bagdad hatte er sich in dieser Stadt niedergelassen, wo er im Alter von vierundneunzig Jahren gestorben war.
    Die Mongolen unter Hulagu, dem Enkel des Dschingis-Khan, fielen in Bagdad ein, plünderten die Stadt aus und metzelten alles nieder. Innerhalb von vierzig Tagen brachten sie Hunderttausende von Menschen um, und einer davon war Nur. Er saß in seinem kleinen Zimmer und spielte Flöte, als ein vierschrötiger, schlitzäugiger, blutbesudelter Krieger hereinkam. Er ließ sich nicht unterbrechen und spielte sein Lied so lange weiter, bis die Schwertklinge des Barbaren seinen Nacken traf.
    »Die Mongolen haben aus dem Mittleren Osten eine Wüste gemacht«, hatte Frigate gesagt. »Nie zuvor in der Geschichte ist es jemandem gelungen, innerhalb solch kurzer Zeit eine einzige Ödnis aus einem Land zu machen. Bevor die Mongolen wieder abzogen, brachten sie die halbe Bevölkerung um und zerstörten alles – die Bewässerungsanlagen, die Gebäude. Selbst zu meinen Lebzeiten – sechshundert Jahre später – hatte der Mittlere Osten sich noch nicht wieder von dieser Heimsuchung erholt.«
    »Sie waren in der Tat die Geißel Allahs«, hatte Nur erwidert. »Aber trotzdem gab es auch gute Männer und Frauen unter ihnen.«
    Und jetzt, während Frigate neben dem kleinen Mann auf dem Vorderdeck kauerte und die dunkelhäutigen Betelnußkauer an den Ufern beobachtete, dachte er erneut über den Zufall nach. Welches Schicksal hatte ihn, einen Amerikaner des Mittelwestens aus dem Jahre 1918, den Weg eines 1164 in Spanien geborenen Moslems kreuzen lassen? War das Schicksal überhaupt etwas anderes als ein Zufall? Möglicherweise nicht. Aber die Möglichkeit eines Ereignisses wie dieses wäre auf der Erde eins zu einer Million gewesen. Es war der Flußwelt zu verdanken, daß Zufälle wie dieser möglich wurden, und hier hielten sie sich nun einmal auf.
    An diesem Abend, nach dem Gespräch mit Nur, ergab es sich, daß sie alle zusammen in der Kajüte des Kapitäns saßen. Das Schiff war in der Nähe des Ufers vor Anker gegangen, und jetzt beleuchteten die Fischöllampen ein Pokerspiel. Nachdem es Tom Rider gelungen war, den letzten großen Topf (dessen Inhalt aus Zigaretten bestand) an sich zu reißen, machte man es sich gemütlich, und Nur erzählte zwei Geschichten von Mullah Nasreddin. Nasreddin (Der Adler des Glaubens) war eine Gestalt, die oft in islamischen Volksmärchen auftauchte, und verkörperte die Figur eines verrückten Derwisches und Eulenspiegels, dessen Abenteuer für jeden Zuhörer echte Lektionen in Weisheit enthielten.
    Nur nippte an seinem schottischen Whisky – er trank niemals mehr als zwei Unzen täglich – und sagte: »Kapitän, Sie haben uns eine Geschichte von Pat und Mike erzählt. Es war eine lustige Geschichte, aber sie versucht dem Zuhörer etwas über die Art des Denkens mitzuteilen. Pat und Mike sind Gestalten der westlichen Folklore. Lassen Sie mich eine Geschichte aus dem Osten erzählen.
    Eines Tages kam ein Mann am Hause des Mullah Nasreddin vorbei und beobachtete, wie dieser um sein Heim herumlief und dabei Brotkrusten auf den Boden warf.
    >Warum in aller Welt tust du das, Mullah?< fragte der Mann erstaunt.
    >Um mir die Tiger vom Leibe zu halten.<
    >Aber<, sagte der Mann nicht weniger erstaunt, >es gibt hier doch gar keine Tiger!<
    >Eben<, erwiderte Nasreddin. >Daran kannst du sehen, daß meine Methode funktioniert!<«
    Die Zuhörer lachten, dann sagte Frigate: »Nur, wie alt ist diese Geschichte?«
    »Sie war schon mindestens zweitausend Jahre alt, als ich geboren wurde. Man erzählte sie sich unter den Sufis als eine Art Gleichnis. Warum fragst du?«
    »Weil ich die gleiche Geschichte in abgewandelter Form in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gehört habe«, erwiderte Frigate. »Dabei ging es allerdings um einen Engländer, der auf der Straße kniete und mit einem Stück Kreide Linien über den Boden zog. Ein Freund des Mannes kam an ihm vorbei und sagte: >Warum tust du das?<
    >Um mir die Löwen vom Halse zu halten.<
    >Aber in England gibt es doch gar keine Löwen!<
    >Na, siehste?<«
    »Herrgott«, polterte Farrington, »ich habe die gleiche Geschichte in Frisco gehört, als ich noch ein Kind war! Nur ging es dabei um einen Iren.«
    »Viele der an sich belehrend gemeinten Nasreddin-Geschichten sind zu schlichten Witzen geworden«, sagte Nur.

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