Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
Nur setzte die Flöte an die Lippen und spielte eine seltsam klagende, auf- und abschwellende Melodie. Wenn er Wache hatte, sah man ihn niemals ohne sein Instrument. Manchmal begnügte er sich damit, kurze Stücke zu spielen, dann wieder saß er im Schneidersitz am äußersten Punkt des Vordecks, während seine Flöte schwieg und er die Augen geschlossen hielt.
In solchen Augenblicken wünschte er von niemandem angesprochen zu werden. Frigate wußte, daß Nur sich dann in eine Art Trance versetzte. Er hatte ihm bisher nicht mehr als eine Frage zu dieser Verhaltensweise gestellt.
Nurs Antwort war gewesen: »Du brauchst das nicht zu wissen. Jedenfalls nicht jetzt.«
Nur-ed-din Ibn Ali al-Hallag (Das Licht des Glaubens, der Sohn von Ali, dem Barbier) faszinierte Frigate. Er war 1164 n. Chr. in der seit 711 n. Chr. von den Moslems beherrschten Stadt Cordoba geboren worden. Das maurische Spanien hatte damals den Glanz der sarazenischen Zivilisation repräsentiert, die Nur in allen Aspekten verkörperte. Das christliche Europa befand sich zu dieser Zeit – verglichen mit der brillanten Kultur der Moslems – immer noch im finstersten Mittelalter. Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Medizin, Literatur und Dichtung wurden in den großen Zentren des Islam großgeschrieben. Die westlichen Städte dieser Zivilisation waren das iberische Cordoba, Sevilla und Granada, die östlichen Bagdad und Alexandria. Für sie gab es keine Konkurrenz, ausgenommen vielleicht im fernen China.
Die reichen Christen schickten ihre Söhne auf die maurischen Universitäten der Iberischen Halbinsel, um ihnen eine Bildung zukommen zu lassen, die man weder in London, noch in Paris oder Rom empfangen konnte.
Die Söhne der Ärmeren machten sich auf den Weg und bettelten auf den Straßen nach Brot, um ihr Studium zu überleben. Und von diesen Schulen kehrten die Christen dann in ihre Heimat zurück, um weiterzugeben, was sie zu Füßen ihrer turbantragenden Lehrmeister gelernt hatten.
Das maurische Spanien war ein ungewöhnliches und großartiges Land und wurde von Männern regiert, die sich im Grad ihrer Gläubigkeit und ihres Dogmatismus stark unterschieden. Manche von ihnen waren intolerant und streng, andere wiederum aufnahmebereit und tolerant genug, um selbst Christen und Juden vor sich hintreten zu lassen, Kunst und Wissenschaft zugeneigt und freundlich gegenüber allen Ausländern, die bereit waren zu lernen, gleichgültig, welcher Religion sie auch anhingen.
Nurs Vater betrieb sein Geschäft in dem weiträumigen Palast außerhalb von Cordoba, in der nahe gelegenen Stadt Medinat az-Zahra. Zu Nurs Lebzeiten war sie in der ganzen Welt von Legenden umwoben gewesen, aber zu denen Frigates gab es von ihr nicht einmal mehr eine Spur. Nur hatte dort das Licht der Welt erblickt und das Handwerk seines Vaters erlernt. Da er sich danach sehnte, etwas anderes zu tun, hatte sein Vater die Geschäftsverbindungen zu seinen wohlhabenden Kunden dazu ausgenutzt, seinen Sohn zu unterstützen. Nachdem Nur seine Geschicklichkeit in den Fächern Literatur, Musik, Mathematik, Alchimie und Theologie unter Beweis gestellt hatte, konnte er die beste Schule von Cordoba besuchen. Er mischte sich unter die Reichen und die Armen, die Wichtigen und die Überflüssigen, die nordischen Christen und nubischen Neger.
Dort war er auch auf Muyid-ed-din Ibn el-Arabi gestoßen, einen jungen Mann, der zum größten Liebesdichter seiner Zeit werden sollte und dessen Einflüsse man später sogar noch in den Liedern französischer und deutscher Troubadoure finden würde. Der reiche und gutaussehende junge Mann freundete sich mit dem armen und häßlichen Barbierssohn an und lud ihn im Jahre 1202 zu einer Pilgerfahrt nach Mekka ein. Während der Reise durch Nordafrika machten sie die Bekanntschaft einer Gruppe von persischen Emigranten, den Sufis. Nur hatte deren Lehre zwar bereits vorher kennen gelernt, aber die Gespräche mit den Persern führten schließlich dazu, daß er zu einem ihrer Jünger werden wollte. Allerdings fand sich zu diesem Zeitpunkt kein Lehrmeister, der bereit gewesen wäre, ihn in den Kandidatenstand zu erheben. Nur setzte mit el-Arabi seinen Weg nach Ägypten fort, wo beide von Fanatikern der Häresie angeklagt und beinahe umgebracht worden wären.
Nach der Beendigung ihres Hadsch in Mekka reisten sie nach Palästina, Syrien, Persien und Indien. Sie brauchten vier Jahre dazu und die Rückreise in ihre Heimatstadt kostete sie ein weiteres. In Cordoba waren
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