Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
ausgenommen jenen, die gerade Wache hatten – an einem großen, neuneckigen Tisch im Eßzimmer des Hauptdecksalons Platz. Nachdem Sam einige Tagesbefehle ausgegeben hatte, zog er sich an einen Billardtisch zurück und spielte gegen den Titanthropen. Wegen seiner großen Hände war Joe allerdings weder ein besonders guter Billard- noch Kartenspieler. Sam schlug ihn beinahe in jedem Spiel und wandte sich anschließend meist einem gewandteren Gegner zu.
Um 7.00 Uhr würde er sich auf seinen üblichen Rundgang durch das Schiff begeben. Sam mochte es zwar nicht, die ganze Strecke zu Fuß zu gehen, beharrte aber dennoch darauf, weil er dies als körperlichen Ausgleich betrachtete. Außerdem konnte er diese Tradition schon deswegen nicht aus der Welt schaffen, weil es dem Äußeren des Schiffes nicht gut bekommen wäre. Ohne Drill und Rundgänge konnte aus einer Schiffsmannschaft recht schnell wieder ein Haufen schlampiger Zivilisten werden, die mehr und mehr aus sich herausgingen und dazu neigen würden, allzu kollegial mit ihren Vorgesetzten umzuspringen, wenn sie sich im Dienst befanden.
»Ich betreibe zwar ein schauerliches Suffboot«, hatte Sam des öfteren geprahlt, »das heißt, daß zumindest die Mannschaft aus Suffköppen besteht. Aber trotzdem ist es noch nicht einmal vorgekommen, daß einer meiner Leute betrunken zum Dienst erschienen ist.«
An diesem Tag fand allerdings dennoch kein Rundgang statt. Da der Funker eine Botschaft von der Minerva aufgefangen hatte, wurde Sam ins Steuerhaus gerufen. Noch bevor er im Aufzug verschwunden war, hatte der Mann an der Radaranlage ein Objekt ausgemacht, das von Backbord her über die Berge kam.
51
Wie ein silbernes Ei, das gerade von der Sonne gelegt worden war, tauchte das Luftschiff aus der Helligkeit des Himmels auf. Für die überraschten Menschen am Boden, von denen viele nie von einem Luftschiff gehört, geschweige denn eines gesehen hatten, wirkte es wie ein furchterregendes Monster. Zweifellos glaubten manche der Leute, daß es sich dabei um ein Schiff jener rätselhaften Wesen handeln mußte, die sie wieder von den Toten hatten auferstehen lassen, und einige von ihnen hätten es beinahe mit einer Mischung aus Entsetzen und Freude und der Erwartung, daß ihnen eine Offenbarung bevorstand, willkommen geheißen.
Wie hatte die Minerva die Mark Twain so schnell finden können?
Das gewaltige Flußboot schleppte einen großen, drachenähnlichen Ballon an einer Schnur hinter sich her. Der Ballon erhob sich über die Berge und trug einen Sender, der ununterbrochen Peilzeichen aussandte. Hardy, der Navigator der Minerva, kannte die ungefähre Position der Mark Twain zudem aufgrund des Kartenmaterials, das vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet lag. Während der ganzen Jahre ihrer Reise hatte die Mark Twain, um den in Parolando Zurückgebliebenen die Möglichkeit zu geben, ihrer Spur zu folgen, per Funk jede Positionsänderung bekanntgegeben. Der Navigator der Parseval hatte der Minerva zudem Informationen darüber geliefert, wo die Mark Twain zur Zeit lag.
Da man auf der Minerva des weiteren wußte, wo die Rex derzeit kreuzte, wußte Kapitän de Greystock genau, daß das von John Lackland kommandierte Schiff nicht weniger als einhundertvierzig Kilometer von der Mark Twain entfernt lag. Allerdings basierte diese Berechnung auf der Luftlinie; hätte die Mark Twain der Rex folgen wollen, hätten sie alle Biegungen des Flusses hinter sich bringen und nicht weniger als fünfhundertsiebzigtausend Kilometer zurücklegen müssen.
Greystock, der sich in der Kontrollkanzlei der Minerva aufhielt, bat per Funk um die Erlaubnis, die Mark Twain überfliegen zu dürfen.
Sam beugte sich über das Mikrofon und sagte mit flacher Stimme: »Warum?«
»Um Ihnen unsere Ehre zu erweisen«, erwiderte der Engländer. »Außerdem kann ich mir vorstellen, daß Sie und Ihre Leute gern einen Blick auf das Luftschiff werfen würden, das im Begriff ist, König John zu vernichten. Und – um die Wahrheit zu sagen – meine Männer würden gerne einen näheren Blick auf Ihr vortreffliches Schiff werfen.«
Er machte eine Pause und sagte dann: »Vielleicht ist das unsere letzte Chance.«
Diesmal war es Sam, der eine Weile schwieg. Schließlich erwiderte er mit einer Stimme, die sich anhörte, als müsse er gegen die Tränen ankämpfen:
»Okay, Greystock. Sie können an uns vorbeifliegen, aber nicht über die Mark Twain hinweg. Es ist mir egal, ob Sie jetzt denken, daß ich vielleicht an
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