Farmer, Philip José - Flusswelt 04
Vorbehalte und anfänglichem Widerwillen hatte Alice sich schließlich an den Geschlechtsverkehr gewöhnt und ihn herbeigesehnt. Sie liebte ihren Gatten, und als er 1926 starb, hatte sie dies zutiefst bekümmert.
Aber Burton hatte sie auf eine Weise geliebt, die die Reginalds bei weitem übertraf. Damit ist es nun vorbei, sagte sie sich.
Obwohl es momentan den Anschein hatte, als würde er die nächsten Jahre am gleichen Ort verbringen, war sie nicht mehr bereit, sich mit seiner ewigen Rastlosigkeit abzufinden. Aber es war die Umgebung, die ihn aufbrachte. Seine Zornausbrüche, seine Bereitwilligkeit, einen Streit vom Zaun zu brechen, seine ständige Eifersucht – all das ermüdete sie. Diejenigen seiner Charakterzüge, die sie – weil sie sie selbst nicht besaß – angezogen hatten, stießen Alice nun ab.
Was sie am meisten ärgerte, war die Tatsache, daß er das Geheimnis für sich behalten hatte.
Das Schlimmste aber war, daß sie Richard schon deswegen nicht verlassen konnte, weil sie nicht wußte, wo sie hingehen sollte. Die Kabinen waren ausnahmslos besetzt. Einige wurden zwar von alleinstehenden Männern bewohnt, aber sie hatte nicht die Absicht, zu einem Mann zu ziehen, den sie nicht liebte.
Richard würde darüber spotten. Er behauptete, daß er von Frauen nicht mehr verlangte, als daß sie hübsch seien und sich geziert verhielten. Außerdem bevorzugte er Blondinen, aber in ihrem Fall hatte er eine Ausnahme gemacht. Er würde ihr sagen, sie solle sich einen gutaussehenden Mann mit zumindest passablen Manieren suchen und mit ihm zusammenleben. Nein, das würde er nicht. Er würde ihr damit drohen, sie umzubringen, falls sie ihn verließe. Oder nicht? Er hatte sie sicher genauso satt wie sie ihn.
Alice setzte sich hin, rauchte eine Zigarette (davon hätte sie auf der Erde nicht einmal geträumt) und dachte nach, was sie jetzt tun sollte. Da sie keine Antwort fand, verließ sie kurz darauf die Kabine und ging in den Großen Salon. Hier spielte sich immer etwas Erfreuliches oder Aufregendes ab.
Sie wanderte ein paar Minuten lang im Salon herum, bewunderte die Gemälde und Plastiken und hörte einem Stück von Liszt zu, das auf dem Piano gespielt wurde.
Und während sie sich sehr einsam fühlte und darauf hoffte, daß jemand käme, um ihre Stimmung aufzuheitern, näherte sich ihr eine Frau. Sie war etwa einen Meter fünfundfünfzig groß, schlank, langbeinig und hatte mittelgroße, spitze Brüste, deren aufgerichtete Warzen von dünnem, leichtem Stoff bedeckt waren. Trotz ihrer etwas zu langen Nase hatte sie ein hübsches Gesicht.
Indem sie ausgesprochen weiße und ebenmäßige Zähne entblößte, sagte die Blondine auf esperanto: »Hallo, ich bin Aphra Behn, eine von den Pistoleros und Ex-Mätressen Seiner Majestät. Hin und wieder kommt er sogar mal zu mir zurück. Du bist Alice Liddell, stimmt’s? Die Frau dieses bärbeißig aussehenden, vor Häßlichkeit schönen Walisers Gwalchgwynn.«
Alice bestätigte ihr, daß sie sich nicht geirrt hatte, und fragte sofort: »Bist du die Autorin von Oroonoko?«
Aphra lächelte erneut. »Ja, und von vielen anderen Stücken. Es freut einen zu wissen, daß man im zwanzigsten Jahrhundert nicht unbekannt war. Spielst du Bridge? Wir suchen nach einem vierten Mann.«
»Ich habe seit vierunddreißig Jahren nicht mehr gespielt«, sagte Alice. »Früher hat es mir immer Spaß gemacht. Wenn es euch nichts ausmacht, daß ich am Anfang etwas schwerfällig reagiere…«
»Oh, wir bringen dich schon wieder auf den aktuellen Stand, auch wenn das einigen weh tut«, erwiderte Aphra. Sie lachte, nahm Alice bei der Hand und führte sie zu einem Tisch, der in der Nähe der Wand unter einem großen Gemälde stand. Das Bild zeigte Theseus, der gerade in das Herz des Labyrinths von Minos vorstieß, wo der Minotaurus auf ihn wartete. Ariadnes Faden war um die gewaltige Erektion des Helden gewickelt, die ihm fast bis ans Kinn reichte.
Als Aphra Alices Gesichtsausdruck sah, grinste sie.
»Das ist ganz schön hart, wenn man es zum ersten Mal zu sehen kriegt, nicht wahr? Da fragt man sich doch glatt, ob Theseus den Stiermenschen mit seinem Schwert erledigen oder zu Tode ficken will, stimmt’s?«
»Wenn er letzteres täte«, sagte Alice, »würde womöglich der Faden reißen und er nicht mehr fähig sein, zu Ariadne zurückzukehren.«
»Welches Glück für die Frau«, sagte Aphra. »Sie könnte dann mit dem Gedanken sterben, daß er sie liebte, und würde nie von seinem Plan
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