Farmer, Philip José - Flusswelt 04
erfahren, daß er sie bei der erstbesten Gelegenheit verlassen wollte.«
Dies war also Aphra Amis Behn, die Schriftstellerin, Dichterin und Dramatikerin, die London nach der göttlichen Sternenjungfrau der klassischen griechischen Mythologie die unvergleichliche >Asträa< genannt hatte. Bevor sie 1689 im Alter von neunundvierzig Jahren starb, hatte sie einen Roman mit dem Titel Oroonoko oder Der königliche Sklave geschrieben, der zu ihrer Zeit eine Sensation gewesen war und 1930 nachgedruckt wurde (was Alice in die Lage versetzt hatte, ihn noch vor ihrem Tode zu lesen). Das Buch war ein Meilenstein in der Entwicklung des Romans gewesen. Aphras Zeitgenossen hatten sie auf eine Stufe mit Defoe gestellt. Ihre Stücke waren unanständig und grob, erfreuten aber mit ihrem Witz die Theaterbesucher. Aphra Behn war die erste freie Schriftstellerin Englands gewesen und hatte für Charles II im Krieg gegen die Holländer als Spionin gearbeitet. Obwohl ihr Auftreten sogar im Zeitalter der Restauration noch als skandalös gegolten hatte, war sie in der Westminster Abbey beerdigt worden. Damit war ihr eine Ehre zuteil geworden, die dem gleichermaßen als skandalös geltenden und weit berühmteren Lord Byron verwehrt worden war.
Am Tisch warteten zwei ungeduldige Männer. Aphra machte Alice mit ihnen bekannt und lieferte zu jedem der beiden einen biographischen Abriß.
Der Mann an der Westseite des Tisches war Lazzaro Spallanzani, geboren 1729, gestorben 1799. Er gehörte zu den bekanntesten Naturforschern seiner Zeit und hatte besondere Berühmtheit durch seine Experimente mit Fledermäusen erlangt. Von der Frage getrieben, wieso diese Tiere in absoluter Dunkelheit fliegen konnten, hatte er herausgefunden, daß sie über eine Art eingebautes Sonarsystem verfügten. Natürlich hatte es diesen Begriff damals noch nicht gegeben. Spallanzani war zierlich, schlank – ein dunkler, italienischer Typ, der Esperanto sprach.
Der Mann an der Nordseite war Ladislas Podebrad, ein Tscheche. Er war mittelgroß (gemessen an den Kriterien des mittleren und späten zwanzigsten Jahrhunderts), ausgesprochen breitschultrig und muskulös und hatte einen dicken Hals. Sein Haar war hellblond, seine Augen kalt und blau. Auch seine dicken Augenbrauen waren hellblond. Er hatte eine lange Adlernase, und sein eckiges Kinn wies eine tiefe Spalte auf. Obwohl seine Hände ziemlich groß – wie Bärentatzen, dachte Alice, die zu Übertreibungen neigte – und seine Finger relativ kurz waren, gab er die Karten mit der professionellen Geschicklichkeit eines Mississippi-Dampfschiff-Spielers aus.
Aphra erklärte, daß man ihn erst vor acht Tagen aufgelesen hatte. Podebrad war Elektroingenieur und hatte einen Doktortitel. Dann sagte sie – und an dieser Stelle begann Alice sich für den Mann zu interessieren –, daß Johns Aufmerksamkeit ihm deswegen zuteil geworden war, weil er am rechten Flußufer neben dem Wrack eines Luftschiffes gestanden hatte. Nachdem John sich Podebrads Geschichte angehört und von seinen Qualifikationen erfahren hatte, hatte er ihn eingeladen, als Ingenieuroffizier im Maschinenraum der Rex mitzufahren. Man hatte den Duraluminiumkiel und die Gondel des halbstarren Luftschiffs vom Rest des Wracks gelöst und in einem Lagerraum untergebracht.
Podebrad redete nicht viel. Er schien zu jenen Bridgespielern zu gehören, die in ihrer Tätigkeit ganz aufgingen. Aber da Behn und Spallanzani in einem fort redeten, fühlte Alice sich ermutigt, ihm einige Fragen zu stellen. Die Antworten Podebrads waren zwar nur kurz, aber der Mann signalisierte mit keiner Faser, daß er sich belästigt fühlte. Was aber nicht unbedingt heißen mußte, daß er sich tatsächlich nicht so fühlte, denn während des gesamten Spiels verzog er keine Miene.
Podebrad erklärte, daß er der Führer eines Staates gewesen sei, der Nova Bohemujo – Neu-Böhmen – hieß und eine sehr weite Strecke flußabwärts lag. Er sei für diesen Posten qualifiziert gewesen, da er auch in der Tschechoslowakei einen Regierungsposten innegehabt hatte und ein prominentes Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen sei. Nun war er allerdings kein Kommunist mehr, da diese Ideologie hier ebenso sinnlos und irrelevant geworden war, wie die des Kapitalismus. Außerdem habe ihn die Kirche der Zweiten Chance stark angezogen, ohne daß er ihr je beigetreten war.
Ein Traum, der sich mehrmals wiederholte, hatte ihm eingegeben, daß sich unter der Oberfläche von Nova Bohemujo große
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