Farmer, Philip José - Flusswelt 04
viele Verluste gehabt haben. Wie viele Angehörige der einstmaligen Besatzung sind noch an Bord?«
Johns Augen verengten sich. »Welch seltsame Frage. Warum stellen Sie sie mir?«
Göring zuckte die Achseln und sagte: »Es ist nicht wichtig. Ich bin bloß neugierig. Schließlich leben viele barbarische Völker an diesem Fluß. Ich bin sicher, daß viele versucht haben, Ihnen das Schiff wegzunehmen. Schließlich…«
»… stellt es einen Schatz dar, der sein Gewicht in Diamanten wert ist?« sagte John lächelnd. »Ja. Das stimmt. Bei Gottes Hintern, ich könnte Ihnen Geschichten darüber erzählen, wie oft wir haben kämpfen müssen, um zu verhindern, daß die Rex in feindliche Hände fiel. Die Wahrheit ist, daß von den fünfzig Leuten, mit denen ich Parolando verließ, nur noch zwei an Bord sind. Ich selbst und Augustus Strubewell.«
Was darauf schließen ließ, dachte Göring, daß es John gelungen war, sich jeden Schwätzers zu entledigen, der einem Neuen die Wahrheit hätte sagen können. Dazu langte ein Schubs im Dunkeln. Wenn es dabei zufällig regnete, konnte man nicht einmal ein Aufklatschen hören. Wenn John oder Strubewell irgend jemanden provozierten, konnten sie ihn anschließend wegen Unfähigkeit oder Ungehorsam aburteilen. Es gab viele Möglichkeiten, jemanden umzubringen, und viele Entschuldigungen, einen Mann oder eine Frau von Bord zu schicken. Unfälle, Kämpfe und Desertionen konnten dann den Rest dezimieren.
Jetzt wurde Göring klar, daß Burton möglicherweise noch einen anderen Grund gehabt hatte, ihn nicht zu verraten. Wenn John Göring erkannte, würde er wissen, daß Göring seine Lügen durchschaute. Und vielleicht würde er, Göring, dann bei einem >Unfall< den Tod finden, bevor das Schiff Aglejo erreichte. In diesem Fall würde niemand La Viro vor John warnen.
Vielleicht, dachte Göring, bin ich zu mißtrauisch. Aber wahrscheinlich war das doch nicht der Fall.
24
Sie hatten den Großen Salon verlassen und sich in einen anderen Raum begeben. Er war halbkreisförmig und mit bruchsicheren Glasfenstern versehen. Der Aufzugschacht, der durch den darüberliegenden Raum bis zum Ruderhaus hinaufführte, bildete einen Teil der Rückwand. Es gab hier Sessel und Tische, mehrere Sofas und eine kleine Bar. Wie in den meisten Räumlichkeiten der Rex dudelte auch hier Musik, die von irgendwoher überspielt wurde. Man konnte sie allerdings abstellen. Nachdem man sich einige Zeit über die geplanten Reparaturen unterhalten hatte, die wenigstens zwei Monate dauern würden, kam Göring noch einmal auf die zu erwartende Schlacht zu sprechen. Was er sagen wollte, war folgendes: »Was kann ein solcher Kampf jemandem einbringen? Welchem Zweck kann er dienlich sein? Warum sollen die Männer und Frauen auf Ihrem und Clemens’ Schiff den Tod, Verstümmelungen und all die Schmerzen hinnehmen, bloß weil vor mehreren Jahrzehnten irgend etwas zwischen Ihnen vorgefallen ist?
Ich glaube, daß Clemens und Sie verrückt sind. Warum beendet ihr diese Feindschaft nicht? Schließlich hat Clemens jetzt sein eigenes Schiff. Was sollte er auch mit zwei Schiffen anfangen, die er sowieso nicht kriegen wird, weil eins davon – und ich glaube, es wird Ihres sein, Majestät – draufgeht? Wenn man die Größe und Stärke von Clemens’ Schiff berücksichtigt, kann es daran keinen Zweifel geben.«
Statt dessen jedoch sagte er: »Vielleicht wird es gar nicht nötig sein, gegen Clemens zu kämpfen. Ob es überhaupt möglich ist, daß er nach all diesen Jahren immer noch nach Vergeltung lechzt? Und Sie wollen sich an ihm rächen, weil er versuchte, Sie umzubringen? Können Sie ihm nicht vergeben? Der Lauf der Zeit kühlt manchen Besessenen ab und erlaubt es ihm, sich wieder von der Vernunft regieren zu lassen. Vielleicht…«
John zuckte die breiten und schweren Schultern und streckte hilflos die Hände aus.
»Glauben Sie mir, Bruder Fenikso, ich würde Gott danken, wenn Clemens inzwischen wieder zu Sinnen gekommen und ein Mann des Friedens geworden wäre. Ich bin wirklich keine Kämpfernatur. Alles, was ich will, ist, daß die Menschen einander verstehen. Ich würde meine Hand stets nur gegen den erheben, der die seine zuerst gegen mich erhoben hat.«
»Ich bin wirklich sehr froh, das zu hören«, sagte Göring. »Und ich weiß, daß La Viro sich glücklich schätzen wird, zwischen Ihnen und Clemens als Vermittler zu fungieren, damit der Disput endlich beigelegt werden kann. La Viro, wir alle wollen uns nach besten
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