Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Aufpasser, Besserwisser und Rechthaber und anderes mehr, an das ich mich nicht mehr erinnere. Er hielt mir vor, dass ich gescheiter zu Hause für meine Frau und meine Kinder sorgen würde, statt ihm hinterherzulaufen und den Helden zu spielen. Als ich ihm entgegnete, dass ich ledig und kinderlos sei, schrie er mich an, dann solle ich halt ins Wirtshaus gehen und einen Kaffeeschnaps saufen und der Kellnerin in den Hintern kneifen, worauf er auf dem Absatz kehrtmachte und seinem Spießgesellen hinterherlief.«
Dem Reporter von der »National-Zeitung« berichtet er weiter: »Sobald ich mich gesichert sah, erhob ich mich und setzte meinerseits mit blutüberströmtem Gesicht die Verfolgung fort.
Ich schrie nach Leibeskräften nach Polizei! Die beiden Burschen bogen nach rechts in die Hammerstraße ein und bemächtigten sich zweier dort stehender Fahrräder. Mit letzter Kraft rannte ich den Fliehenden nach, immer um Hilfe rufend, und konnte so die Passanten auf die Verbrecher aufmerksam machen, die aber, als sie meine Verwundung sahen, mich nur wie Ölgötzen anglotzten.
Erst an der Gottesackerstraße kam mir ein Polizist zu Hilfe, den ich rasch aufklärte und der mir nun die Verfolgung abnahm, begleitet von zahlreichen Passanten zu Fuß und zu Rad.«
*
Polizeimann Alfred Nafzger liegt im Operationssaal des Basler Bürgerspitals, wo vor zwei Wochen die Bankbeamten Beutter und Kaufmann operiert wurden. An seiner Seite steht Detektivkorporal Hans Maritz, der ein Signalement der zwei Gesuchten zu erstellen versucht. Er trägt sterile Kleider, Haube und Mundschutz wie ein Chirurg. Maritz ahnt nicht, dass er selber die beiden am besten beschreiben könnte, hat er sie doch vor kaum vierzehn Stunden auf den Posten mitgenommen und gewiss eine Viertelstunde lang gründlich befragt.
Die Narkoseschwester hantiert schon mit der Chloroformmaske, ihre Kolleginnen legen Instrumente bereit und stecken dem Patienten Infusionen. Der Chefarzt streift sich die Handschuhe über und mahnt zur Eile.
»… erhielt ich einen Schuss in den Rücken«, flüstert Nafzger. »Ich rannte sofort ins Treppenhaus und schrie um Hilfe. Ich glaube noch weitere Schüsse gehört zu haben; was weiter vorgefallen ist, weiß ich nicht. Auf welche Namen die Pässe gelautet haben, weiß ich nicht, weil Vollenweider sie nicht laut genug ausgesprochen hat.« Dann dreht der Anästhesist den Hahn auf. Alfred Nafzger, Präsident des Basler Polizeimännervereins und Vorstandsmitglied des Schweizer Polizeimännerverbandes, stirbt einen Tag später, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben.
15
An jenem Morgen kommt Hedwig Vetter nicht zur Ruhe. In ihrem besten Zimmer liegt ein toter Polizist. Das Treppenhaus ist voller Blut. Die Gäste sind von Pistolenschüssen aufgeschreckt worden. Manche packen eilig ihre Sachen, andere sind schon geflohen. Die Wirtin eilt durch die Korridore auf der Jagd nach ausstehenden Kostgeldern, und dabei schimpft sie auf alles Mögliche, vor allem aber auf die Polizei. Um sieben Uhr dreiundvierzig läutet es an der Tür.
»Alles besetzt!« schreit Hedwig Vetter. Da poltert es, wie nur Polizisten poltern. Sie kramt ihren Schlüssel hervor und schließt auf. Das Beamtenrudel strömt herein, und die Wirtin schnaubt und deutet mit dem Kinn zur Treppe. Allen voran geht der Polizeifotograf. Er macht Bilder vom toten Polizeikorporal Vollenweider, der noch immer mit eingedrückter Melone auf dem Bett liegt. Er fotografiert die zwei aufgeklappten Koffer und das Reisegrammophon und den aufgespannten Damenschirm, den Dorly vor kaum acht Stunden Waldemar mitgegeben hat, und auf den Fotos werden alle diese Sachen blass und verloren wirken wie die Habseligkeiten von Verstorbenen. Dann sind die Kollegen von der Spurensicherung an der Reihe. Sie sammeln Fingerabdrücke und untersuchen die Betten, durchwühlen die Koffer und blättern im Schallplattenalbum.
»Chef! Sehen Sie mal her!« Einer streckt ein Automatenfoto in die Höhe. Es ist eines jener vierzehn Bilder, die Waldemar und Kurt im Photomatonkasten gemacht haben. Das Bild geht mit Sirene und Blaulicht ins Fotolabor, und eine Stunde später liegt es auf jeder Polizeistelle, an jedem Grenzübergang und in jeder Redaktionsstube. Die Untersuchung der Patronenhülsen zu Füßen Vollenweiders ergibt, dass beim Überfall auf die Wever-Bank die gleiche Munition verwendet wurde. Unter den Matratzen kommen zwei graugrüne Regenmäntel und zwei Autobrillen zum Vorschein.
Sofort wird
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