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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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Eltern das Benzin geschenkt.
     
    Es hatte Ewigkeiten gedauert, bis er Grover
überredet hatte, den Fahrer zu spielen. Wie immer war er zögerlich und unsicher
gewesen, der klassische Feigling. Francis erinnerte sich, wie Grover sich
früher als Einziger nicht gefreut hatte, wenn sie einen Ausflug mit der Klasse
machten, wie er ängstlich auf dem Dreimeterbrett gestanden und gekniffen hatte
oder wie er aus Angst vor fremden Menschen nie auf Partys gegangen war. Er
schien sich vor allem zu fürchten, was neu und unbekannt war. Allerdings hatte
er selbst davon geredet, dass er in den Ferien unbedingt eine Tour mit dem
Wagen machen wolle, und schließlich hatte er doch noch nachgegeben.
    Als Francis in der Klinik ankam, stand das frühere
Bett seiner Mutter leer. Es hieß, sie sei jetzt auf einer anderen Station,
diesmal in der komplett Geschlossenen, wo man sie besser überwachen konnte. Ihn
habe sie nicht sehen wollen.
    Francis war fast froh darüber, denn er hätte nicht
gewusst, was er mit ihr hätte reden sollen. Von der geplanten Reise hätte er
ihr auf keinen Fall erzählen können, und die Sache mit seinem Vater und der
Samenbank hatte er noch nicht verdaut. Da die Ärzte meinten, dass es besser
sei, wenn er seine Mutter vorerst nicht besuche, schrieb er ihr einen Brief: Er
habe sie lieb und werde bald wieder vorbeischauen. Den anderen Brief, den er
im Kopf geschrieben hatte, behielt er für sich. Darin hätte gestanden, dass er
in der Nacht nach ihrem Selbstmordversuch vor dem Trailer gesessen und geraucht
hatte, bis es hell geworden war. Dass sie feige gewesen sei und ihn im Stich
gelassen habe. Dass die Dinge zwischen ihnen niemals mehr so sein würden wie
zuvor und sie ihm gar nichts mehr zu sagen habe. Oder dass er einen Moment
sogar gehofft habe, sie könne nicht mehr wiederbelebt werden, damit dieser
ganze Alptraum endlich ein Ende habe, und wie sehr er sich seitdem für diesen
Gedanken schäme.
    Francis schlenderte durch die Station, um sich von
Anne-May zu verabschieden. Sie würde ihm fehlen, in den letzten Monaten hatten
sie sich jeden Tag gesehen. Da ihre Eltern wieder zu Besuch waren, wartete er
draußen auf dem Flur. Von einem Fenster aus beobachtete er eine halbe Stunde
später, wie die beiden unten in einen Lexus stiegen. Ihre Mutter trug ein
cremefarbenes Designerkostüm, und der Vergewaltiger lief in einem blauen Anzug
mit gelber Krawatte herum. Wenn Anne-May Besuch von den beiden bekam, war sie
überhaupt nicht mehr aufsässig, sondern ganz brav, fast verschüchtert.
    Als er ihr Zimmer betrat, lag sie auf dem Bett. Sie
trug einen Rock und ein schwarzes enganliegendes Shirt. Francis beobachtete,
wie sie konzentriert ein Buch von einem Autor namens Kazuo Ishiguro las. Sie
war so vertieft, dass sie ihn kaum bemerkte. Auf ihrem Nachttisch stand noch
immer die cd-Box mit den Los Angeles Philharmonikern, neulich hatte sie
gemeint, dass sie unbedingt einmal ein Konzert von ihnen besuchen wolle.
    In solchen Momenten wurde Francis bewusst, dass er
ihr nicht das Wasser reichen konnte. Anne-May war bestimmt tausendmal schlauer
und gebildeter als er. Sie kam aus einer Welt, in der man sich über Bücher,
Theaterstücke oder politische Debatten unterhielt, in der der Kühlschrank täglich
aufs Neue wieder gefüllt war und in der man große Pläne schmiedete, was man mit
seinem Leben anfangen wolle. Insgeheim fürchtete er sich schon jetzt vor dem
Tag, an dem sie die Klinik wieder verlassen durfte, weil er ihr nichts zu
bieten hatte, mit dem er sie in der richtigen Welt halten konnte. Nur hier, in
dieser Parallelwelt, in der Medikamente und Gesprächstherapie wichtiger waren
als Geld, Intelligenz oder Herkunft, nur hier gehörte sie zu ihm.
    Endlich legte Anne-May das Buch weg und sah ihn an.
Sie wollte über den Selbstmordversuch seiner Mutter reden, doch er wehrte ab. „Ist
schon okay“, sagte er, die Daumen in den Hosentaschen.
    „Blödsinn, gar nichts ist okay.“ Anne-May klopfte
auf die freie Stelle neben sich. Als er zögerte, lachte sie. „Jetzt komm schon
her.“
    Er setzte sich, zwei Handbreit von ihr entfernt,
aufs Bett. Sie nahm seinen Kopf und fuhr ihm durchs Haar. Francis ließ es
geschehen. Anne-May roch gut, ihr Körper war weich, schließlich lehnte er sich
an. „Wieso haben sich deine Mutter und dein Stiefvater eigentlich scheiden lassen?“,
fragte sie.
    „So genau hab ich das nie erfahren, sie waren keines
dieser Paare, die sich vor den Kindern streiten. Ich weiß nur, dass

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