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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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hatte lange braune Haare, Dreitagebart und mehrere Ohrringe.
Francis schätzte ihn auf Ende zwanzig, er strahlte ein unfassbares
Selbstbewusstsein aus, genau wie diese Ringer, gegen die er immer verloren
hatte. Ohne Grover und ihn zu beachten, begann der Mann, sich mit Anne-May zu
unterhalten. Sie flirtete zurück. Grover war wie versteinert, und auch Francis
unternahm nichts. Der Mann mit den langen Haaren redete weiter auf Anne-May
ein. Er wirkte charmant, und Francis hatte das Gefühl, ihm unterlegen zu sein.
Leute, die gut mit Worten umgehen konnten, hatten ihn immer eingeschüchtert,
und er wünschte sich die Situation in der Klinik zurück, als alles so einfach
gewesen war.
    Als der Typ auch noch anfing, seine Hand auf
Anne-Mays Schulter zu legen, sagte Francis kaum hörbar: „Verzieh dich.“
    Der Mann drehte sich zu ihm rüber. „Wie bitte?“ Er
sah ihn an, wie man einen kleinen Jungen ansah.
    „Ich hab gesagt, du sollst dich verziehen.“
    Der Mann schien noch immer gut gelaunt. „Kann sie
das nicht selbst entscheiden?“
    Francis schaute zu Anne-May und wippte mit dem Fuß. „Was
ist?“, fragte er sie leise. „Wollen wir gehen?“
    Sie sah ihn an. „Eigentlich unterhalte ich mich
wirklich gerade.“ Dann wandte sie sich wieder dem Mann zu und setzte das
Gespräch fort.
    Francis spürte, wie es in seinem Kopf zu pochen
anfing, und er stellte sich vor, wie er diesem Typen ins Gesicht schlug, immer
und immer wieder. Ein paar Sekunden lang blieb er noch sitzen, dann richtete er
sich zu voller Größe auf. Er sah, wie der Mann jetzt doch etwas unsicherer wurde.
Anne-May dagegen wirkte gleichgültig, und es schien sie auch nicht zu
interessieren, dass Francis kurz darauf die Kneipe verließ.
    Draußen schrie er ein paarmal vor sich hin. Seine
Hände mussten etwas tun, also nahm er einige große Steine und warf sie, so weit
er konnte. Dann zündete er sich eine Zigarette an und ging zum Missouri. Es
war eine schöne Nacht, die Sterne funkelten am Himmel, der Fluss schimmerte im
Mondlicht. In der Ferne hörte er jemanden auf der Gitarre spielen. Francis
folgte der Musik und kam zu einem Lagerfeuer, es waren Kinder und Jugendliche
aus dem Dorf. Er beobachtete, wie sie miteinander sprachen und Grillwürstchen
ins Feuer hielten, ein Mädchen deutete zu einem Gebüsch, wo sie Leuchtkäfer
entdeckt hatte. Francis überkam ein Gefühl von Geborgenheit. Er steckte die
Hände in die Jeanstaschen und dachte an vieles, und am Ende dachte er nur noch
an Anne-May.
     
    4
     
    Während der folgenden Tage fuhren sie in die
vertrockneten, kargen Eingeweide des Landes hinein. Der mittlere Westen
breitete sich vor ihnen aus, die Straße reichte bis zum Horizont, der Himmel
war hellblau und durchsetzt mit weißen Federn. Meistens unterhielten sich nur
Anne-May und Grover. Als sie Kansas durchquerten, sprachen sie gerade über
Thanksgiving und darüber, wie sie es immer mit ihren Verwandten feierten.
Francis saß hinten und schwieg, glückliche Familienfeste waren ein Thema, zu
dem er nicht viel beitragen konnte. Hin und wieder hörte er die beiden lachen.
Es gefiel ihm nicht, dass sie sich so gut verstanden. Er blickte nach draußen;
Meile um Meile näherten sie sich seinem Vater. Francis überlegte sich Namen
für ihn oder Dinge, die er von ihm geerbt haben könnte. Von seiner Mutter hatte
er die hellblauen Augen, die gute, immer leicht gebräunte Haut und die Art, den
Kopf schief zu legen, wenn er über etwas nachdachte. Doch was hatte er von ihm?
Sahen sie sich überhaupt ähnlich? Wenn sie durch kleinere Städte fuhren,
beobachtete er durchs Fenster gern die Männer zwischen vierzig und fünfzig,
die er auf den Straßen sah. Jeder von ihnen hätte sein Dad sein können, und er
fragte sich, ob er ihm schon mal, ohne es zu wissen, über den Weg gelaufen war.
    Abends saßen sie mit ein paar Sixpacks Budweiser im
Innenhof des Motels. Grover trug ein Shirt, auf dem „Han Solo shot first“
stand. Er schien die Reise zu genießen und sich immer sicherer zu fühlen. Die
Schule, ein Ort der ständigen Demütigungen, war Tausende von Meilen entfernt,
und so blühte er auf. Er schnappte sich die Drumsticks, die er immer im
Handschuhfach hatte, und trommelte zum Spaß auf einer Tischplatte. Sein
Rhythmus war so gut, dass die anderen mit den Händen mittrommelten. Am Schluss
übernahm Grover wieder allein, variierte das Tempo und ging völlig darin auf.
    Anne-May wirkte begeistert. „Du bist richtig gut. Du
solltest in einer Band

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