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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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Nationalpark. Die Schlucht
erstreckte sich über ein paar hundert Meilen, man hätte gewaltige Städte darin
versenken können, und es wäre immer noch Platz gewesen. Francis kickte einen
Stein in den Abgrund. Obwohl er lieber ohne Umweg nach Las Vegas gefahren
wäre, genoss er das Panorama. Sie standen neben ausländischen Touristen und
einer Reisegruppe aus Michigan. Ein rauer Wind peitschte über das Gelände,
einem Jungen wurde die Mütze vom Kopf geweht. Dann fing es auch noch an zu
regnen. Fast alle Besucher fotografierten, aber niemand so viel wie Grover. Er
knipste jeden Strauch und jeden Felsen. „Seht ihr den da?“, fragte er
schließlich.
    Sie blickten zu einem kleinen Felsvorsprung.
Dahinter ging es Hunderte von Yards in die Tiefe. Doch zwei, drei Meter
entfernt ragte aus der Schlucht ein weiterer einzelner Turm aus rotem Fels empor.
„Von dem Vorsprung aus kann man vielleicht auf den Felsturm springen“, sagte
Grover. „Von da kriegt man bestimmt tolle Fotos.“
    „Bist du wahnsinnig?“, fragte Anne-May. „Und wenn du
danebenspringst? Dann stürzt du ab und bist tot!“
    „Sei nicht verrückt“, sagte nun auch Francis zu ihm.
„Das schaffst du nicht. Es ist zu weit.“
    „Sag du mir nicht mehr, was ich schaffe und was
nicht !“ Grover rannte auf den
Vorsprung zu. Er schien Angst zu bekommen, als er da runtersah. Aber nur wenige
Meter entfernt war der Fels, auf den er springen wollte. Dazwischen die
Schlucht. Die anderen schrien, wollten ihn aufhalten.
    Francis fasste ihn bei der
Schulter. Grover riss sich los. „Lass
mich! Du hast gesagt, dass ich mich nie was traue, jetzt traue ich mich was!“
    „Verdammt, willst du jetzt deswegen sterben oder
was?“
    „Kann dir doch egal sein.“
    Es war zwecklos. Er ließ nicht mit sich reden.
Hinter ihnen standen schon ein paar Leute, sie hatten mitbekommen, dass Grover
springen wollte, und gafften. Francis sah, dass manche ihre Kameras und Handys
in der Hand hielten. Vielleicht konnten sie ja den verrückten Typen fotografieren,
der gleich in den Tod sprang.
    Anne-May legte ihre Hand auf die von Grover. Sie versuchte
ihm die Sache auszureden, aber er blieb stur. Er schien sich selbst und vor
allem ihr beweisen zu wollen, dass er kein Feigling war. Francis bemerkte, dass
Grover vor Angst Tränen in den Augen hatte, aber er konnte nicht zurück, nicht
jetzt, wo schon so viele Leute um ihn herumstanden. Anne-May umarmte ihn.
Grover nestelte an seiner Brille, dann hängte er sich die Kamera um und trat
ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Francis wusste nicht, was er
machen sollte. Ihm wurde bewusst, wie sehr Grover all die Jahre gelitten haben
musste; unter den Demütigungen der anderen, unter seiner ewigen Mutlosigkeit.
Er rief ihm zu: „Du schaffst es!“
    Grover drehte sich kurz zu ihm um, dann lief er los.
Francis hörte die Leute raunen und sah aus den Augenwinkeln, wie ein paar
Touristen das Ganze filmten. Und dann passierte das Unvermeidliche. Grover
rannte, aber er war nervös, es sah nicht geschmeidig aus, und der regennasse
Boden war rutschig. Kurz vor dem Ende des Vorsprungs blieb er fast stehen vor
Panik, gleichzeitig sprang er los. Es würde nicht reichen. Francis sah es
sofort. Grover hatte zu wenig Anlauf gehabt, und er hätte nicht kurz abbremsen
dürfen. Die Menge schrie auf, weil sie jetzt auch erkannte, dass es schiefgehen
würde.
    In der Luft unternahm Grover noch einmal alles, um
den Felsturm zu erreichen, er ruderte mit seinen Armen, doch er schaffte es
nicht. Er sprang zu kurz, rutschte ab und stürzte in die Tiefe. Francis schloss
die Augen.
     
    Als er die Augen wieder öffnete, war Grover noch
immer nicht losgesprungen. Während seiner kurzen Horrorvision war Francis der
Schweiß ausgebrochen. Als Grover dann schließlich doch sprang, konnte er nicht
hinsehen. Sein Herz blieb einen Moment stehen.
    Die Leute applaudierten Grover, der drüben auf dem
Felsturm gelandet war. Im ersten Moment schien er nicht zu begreifen, dann
reckte er seine Kamera in die Höhe, und die Leute jubelten noch lauter. Grover
machte ein paar Fotos, vermutlich mit zittrigen Händen, ehe er wieder zu den
anderen auf den Felsvorsprung sprang. Es war ziemlich knapp, da er diesmal
weniger Anlauf gehabt hatte, aber er schaffte es. Die Leute kamen zu ihm
gelaufen, sie machten Bilder von ihm oder ließen sich mit ihm fotografieren.
Grover wirkte erst euphorisiert, dann wurde er immer stiller.
    Schließlich waren sie wieder allein und gingen

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