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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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zu
dritt zum Wagen zurück. Obwohl alles gutgegangen war, waren sie
niedergeschlagen. Je mehr Francis über die sinnlose Aktion nachdachte, zu der
Grover sich gezwungen hatte, desto schuldiger fühlte er sich. Sie stiegen in
den Chevy, Las Vegas war nur wenige Stunden entfernt. Francis nahm sein Geld
aus dem Kuvert und zählte noch mal die Scheine durch. Heute Nacht würde er
spielen, und er musste gewinnen. Sie ließen den Canyon hinter sich, und er
fühlte, wie eine fiebrige Spannung in ihm aufstieg. Als sie losfuhren,
verschwanden die letzten Sonnenstrahlen, und es wurde dunkel da draußen. Dunkel
und kalt.
     
    Las Vegas
     
    1
     
    In Nevada hielten sie an
einem Truck-Stop. Der Duft von gebratenem Fleisch lag in der Luft, vor dem
Eingang parkte ein Streifenwagen der Highway Patrol. Sie aßen Steaks mit
Fritten, dann fuhren sie weiter durch die Wüste. Der Himmel war schwarz, die
Straße stieg steil an und führte auf eine Anhöhe hinauf. Plötzlich blickten sie
in ein gigantisches Lichtermeer. Unten im Tal lag Las Vegas, und Francis
spürte das innere Vibrieren, das er seit seinem Traum nicht mehr gehabt hatte.
    Sie nahmen sich ein Zimmer im Zentrum der Stadt.
Anne-May zog sich im Bad um. Als sie wiederkam, trug sie ein dunkelgrünes
Kleid, ärmellos und rückenfrei, und sah phantastisch aus. „Ist aus Chicago“,
sagte sie.
    „Steht dir wunderbar“, sagte Francis, und zum ersten
Mal seit langer Zeit lächelte sie ihn an. Grover dagegen sah fern, es kamen die
größten Klassiker der Monstertruckgeschichte; Grave Digger gegen Big Foot. Auf
dem nächsten Kanal liefen die Regionalnachrichten. Grover wollte schon
weiterzappen, da sagte der Nachrichtensprecher: „So, und jetzt noch etwas, was
uns ein Zuschauer geschickt hat. Ein wagemutiger junger Mann hat heute am Grand
Canyon mehrere Menschen in Atem gehalten, als er versuchte ...“
    Während der Sprecher seinen Text aufsagte, sah man
auf verwackelten Handkamerabildern, wie Grover mit Anlauf über die Klippe
sprang und unter dem Jubel der Zuschauer auf dem Felsturm landete. Francis sah
gebannt hin. Man konnte es nicht anders beschreiben: Es sah verdammt cool aus.
    Der Grover im Fernsehen reckte die Faust hoch. Der
Grover im Hotelzimmer dagegen machte ein Gesicht, als hätte er sich beim
Sterben zugesehen. Vermutlich wurde ihm erst jetzt klar, wie gefährlich sein
Sprung gewesen war. Dann, als er im Fernsehen sah, wie die Leute klatschten und
Mädchen mit ihm Fotos machen wollten, fing er an zu grinsen. „Das gibt's doch
nicht, Francis.“
    Tatsächlich kamen die Bilder auf mehreren Kanälen,
und die Kommentatoren überschlugen sich. „Der Teufelskerl vom Canyon“, „Wahnsinniger“
oder immer wieder: „Der mutigste Fotograf der Welt“. Es war genau die Sorte
Video, die man im Büro an Kollegen verschickte, mit dem Kommentar: „Schau mal,
Randy, da war so ein Irrer am Canyon, das musst du dir ansehen!“
    Um Grovers Aufstieg zum Medienstar zu feiern,
bestellten sie beim Zimmerservice Zigaretten und Champagner. Sie tranken und
rauchten, sogar Grover paffte eine Zigarette. Er hatte sich gerade zum zehnten
Mal seinen Sprung angesehen und war immer noch süchtig danach.
     
    Nach einer Weile ließ Francis die beiden allein und
ging ins Bad. Er betrachtete sich im Spiegel und musste an seinen Vater denken,
Donor James, dessen Gesicht wie ein Schatten über seinem Gesicht lag. In den
nächsten Tagen würde er vielleicht endlich mehr über ihn erfahren.
    „Was ist?“ Anne-May war ins Bad gekommen. Sie zog
die Tür hinter sich zu.
    „Nichts.“ Francis wusch sich die Hände im Waschbecken.
Dann wandte er sich zu ihr um. „Wieso hast du ihn geküsst? Wieso?“
    Anne-May antwortete erst nicht.
    „Aus verschiedenen Gründen.“ Sie machte eine Pause. „Aber
hauptsächlich, weil er mir leidgetan hat.“
    Francis merkte, dass sich seine Gesichtszüge
entspannten. Er hatte es gewusst.
    „Wieso interessiert dich das eigentlich so?“
Anne-May stellte sich neben ihn, sie beobachteten sich beide im riesigen
Badezimmerspiegel.
    Er schüttelte den Kopf. „Kannst du dir denken“,
sagte er nur. Im Spiegel konnte er Anne-Mays große, dunkle Augen sehen, die wie
immer, wenn sie unsicher war, unruhig flackerten.
    Francis kam dieser Moment unwirklich vor. Er fragte
sich, ob er sich noch in zwanzig Jahren daran erinnern würde, wie er mit
Anne-May in diesem Bad gestanden hatte. Was geschah mit all diesen kleinen
Augenblicken, wenn es ihn nicht mehr gab? Damals, als er in

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