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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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seinen Kuss erwiderte, kam er sich falsch vor. Er stand
auf. „Tut mir leid“, sagte er und verließ die Lobby. „Tut mir wirklich leid.“
    Er traute sich nicht zurückzublicken.
     
    In seinem Zimmer trank er weiter. Beim Anblick der
Pokale, die auf der Kommode standen, musste er an seinen Trainer bei den
Ringern denken, Coach Brown. Oliver Brown war ein älterer Mann gewesen, er
hatte ihn oft nach der Schule allein trainiert und zu den Turnieren gefahren.
Bis Francis vor zwei Jahren bei einem überregionalen Wettkampf ohne große Mühe
ins Finale gekommen war. Seiner Mutter war es damals schlechtgegangen,
vielleicht hatte ihn das angetrieben.
    „Du wirst sehen, jetzt fahren wir die Ernte ein“,
hatte Coach Brown gesagt.
    Troy Saunders, sein
Gegner im letzten Kampf, war jedoch einer dieser von sich überzeugten
Champions gewesen, gegen die er immer den Kürzeren gezogen hatte. Francis hatte
alles gegeben, doch Saunders hatte einen Punkt nach dem anderen gemacht.
    „Der ist schwächer als du, Dean“, hatte Brown
gebrüllt. „Aber er macht dich verdammt noch mal fertig!“
    Francis war erneut von seinem Gegner auf die Matte
gepresst worden. Er hatte sich gewehrt, aber ein Blick in die ruhigen,
entschlossenen Augen von Troy Saunders hatte genügt, um seinen Widerstand zu
brechen. Die Augen hatten gesagt: „Lass es einfach, es hat keinen Sinn“, und
er hatte ihnen geglaubt. Er hatte noch die Rufe seines Trainers gehört, dann
hatte er aufgegeben.
    Später, nach der Siegerehrung, war Francis allein
auf der Holzbank in der Umkleidekabine gesessen, die Medaille für den zweiten
Platz um den Hals. Sein Coach hatte sich neben ihn gesetzt. Eine Weile hatten
sie geschwiegen.
    „Immerhin bin ich ins Finale gekommen“, hatte
Francis gesagt und mit der Medaille gespielt. „Das ist doch auch gut.“ Er hatte
damals das Gefühl gehabt, seinen Trainer aufmuntern zu müssen.
    Brown hatte nur den Kopf geschüttelt. „Nein, das ist
es nicht“, hatte er gesagt. „Nur fast gewonnen zu haben tut am meisten weh. Dann lieber in der
ersten Runde ausscheiden. Aber so weit zu kommen, um dann kurz vor dem Ziel
alles zu verlieren, das ist das Schlimmste. Das kannst du mir glauben.“
    Danach hatten sie nichts mehr geredet, und bald
darauf hatte Francis die Knieverletzung vorgetäuscht und das Ringen
aufgegeben.
     
    Er hörte Schritte, draußen war jemand. Einen Moment
glaubte Francis, dass die beiden anderen zurückkämen, doch es waren nur die
Leute vom Nachbarzimmer. Seine Freunde dagegen waren noch immer aus. Anne-May und Grover, Grover und Anne-May. Er trank einen Schluck und redete sich ein, dass sie sich
über ihn lustig machten und in ihm nichts anderes sahen als einen großen Kerl,
der von Glück reden konnte, wenn er ein Buch richtig herum in der Hand hielt.
Er dachte an Ryan und an seine früheren Freunde aus Jersey City, die ihn
fallengelassen hatten. Sie waren doch alle gleich.
    Francis starrte auf die leere Dose in seiner Hand.
Dann zielte er auf den Mülleimer im Bad. Er merkte, wie betrunken er war, doch
zu seiner Verwunderung war der Wurf perfekt. Die Dose segelte quer durchs
Zimmer bis ins Bad, wo sie mit einem wunderbaren „Flopp“ mitten im Plastikkorb
landete.
    „Yeahhh ...“, sagte er leise und öffnete das nächste
Bier.
    Eine halbe Stunde später kamen Anne-May und Grover
wieder. Sie hatten ihm Süßigkeiten von der Tankstelle mitgebracht.
    „Na, was hast du gemacht?“, fragte Anne-May.
    Francis torkelte auf sie zu. „Du bist so eine
verlogene Schlampe“, lallte er und hatte dabei Mühe, gerade zu stehen. „Dein
ganzes Gelaber in der Klinik, dass du mich magst... Du hast nur mit mir
gespielt, und kaum bist du draußen, küsst du diesen Idioten. Weißt du, wie
scheiße das ist?“
    „Du bist besoffen“, sagte Anne-May. „Hör auf, so mit
mir zu reden. Außerdem habe ich dir nie etwas versprochen.“
    „Was ist denn eigentlich mit dir los?“, fragte
Grover wie unbeteiligt.
    In diesem Moment packte Francis ihn an seinem Shirt
und schubste ihn so heftig gegen das Regal, dass alle Spielzeugfiguren und
Pokale durcheinanderfielen. „Du Verräter!“, brüllte er. „Du hast gedacht, ich
kriege nicht mit, dass du nach der Schule einfach so abhaust. Ich hab das mit
Yale gesehen!“
    Grover richtete sich auf. „Ich wollte es dir sagen,
Francis, ich dachte, es ist klar, dass ich studieren werde, ich ...“
    Francis beachtete ihn nicht und sah zu Anne-May. „Seit
fast fünf Jahren habe ich diesen

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