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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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Francis
bewusst, wie selten sich Grover nur noch meldete. Er konnte es ihm nicht
verübeln, er war wohl nie ein guter Freund für ihn gewesen. Immerhin verstand
sich Grover ziemlich gut mit Alistair. Die beiden telefonierten mittlerweile
oft oder schickten sich Mails, sie waren sich ja auch viel ähnlicher. Grover
hatte zwar - soweit Francis das mitbekommen hatte - noch keine Freundin, aber
das würde sich bestimmt bald ändern. Irgendwann kam sicher eine Frau, die sein
Potential erkannte und ihn sich schnappte. Sein Weg führte unweigerlich nach
oben, und bald würde er alles hinter sich gelassen haben.
    Das Essen war gekommen. Francis sah Anne-May dabei
zu, wie sie wild durcheinander von ihren verschiedenen Tellern aß. Endlich
musste er sie nicht mehr gegen andere Männer verteidigen. Auch sie schien sich
wohl zu fühlen. Ein dicker Bauch war ein noch besserer Schutzschild als das
kalte Nymphomaninnen-Getue.
    Bei der Nachspeise sprach Francis mal wieder davon,
wie sie in fünfzehn Tagen siebentausend Meilen durchs Land gerast waren. Es war
immer nur er, der von der Reise redete; von der Nacht in diesem Motel bei
Chicago, als sie betrunken im Pool schwammen, von Grovers Sprung am Canyon, von
ihrem Spaziergang am Strand in San Francisco oder wie sie am Missouri River
gesessen und den vorbeifahrenden Zügen zugesehen hatten. Anne-May und er waren
damals ständig zusammen gewesen. Während dieser Fahrt hatte er wieder die
gleiche Freiheit gespürt wie früher als Kind in Jersey City, und noch in
zwanzig Jahren würde er sich an diesen gescheiterten Fluchtversuch erinnern.
Anne-May dagegen schien das alles nicht so viel zu bedeuten. Sie meinte nur,
dass er doch irgendwann wieder so eine Reise machen könne, und verstand nicht,
dass er sie nie wieder so machen konnte wie damals: so naiv und hoffnungsvoll,
und mit ihr zusammen.
     
    Zu Hause im Trailer lernte Francis als Erstes Mathe,
denn sie hatten morgen einen Test, und er war letztes Jahr vor allem wegen
Mathematik durchgefallen. In der Schule sahen ihn alle natürlich komisch an,
seit klar war, dass er Vater werden würde, aber das war ihm egal. Nachdem er
zwei Stunden gelernt hatte, sah er fern und blieb an einem Bericht über Eminem
hängen. Es hieß, dass er vorerst keine Musik mehr mache und medikamentensüchtig
sei. Bei dem Versuch, auf seinen verschiedenen Persönlichkeiten zu balancieren,
war er abgestürzt. Der Star war in die Dunkelheit abgetaucht, der
Versager-Vater aus dem Trailerpark hatte die Oberhand gewonnen.
    Francis schaltete den Fernseher wieder aus und nahm
sich eines der Bücher, die Anne-May ihm geschenkt hatte. Es ging um die
Wheelers, ein kaputtes Ehepaar, das in den fünfziger Jahren nach Paris zog.
Francis fand es nicht besonders spannend, er musste sich ziemlich
konzentrieren und manchmal eine Seite zweimal lesen, da er so leicht abschweifte.
Aber er hatte beschlossen, mehr zu lesen, vor allem alles, was Anne-May ihm
gab. Als er sie nach Büchern gefragt hatte, hatte sie zuerst gelacht. „Wirklich,
Dean?“ Aber jetzt schenkte sie ihm immer mal wieder eins. Francis'
Lieblingsbuch war jedoch das eine, das ihm Ryan vor Jahren gegeben hatte. Die
Geschichte von dem glücklosen alten Fischer, der irgendwann doch noch draußen
auf dem Meer einen riesigen Fisch fing, den er auf dem Weg zurück ans Land aber
nach und nach wieder verlor. Francis hatte es jetzt endlich fertiggelesen, und
er war sich sicher, es auch verstanden zu haben.
     
    Als er seiner Mutter gute Nacht sagte, lag sie
bereits im Bett. Vor kurzem hatte sie ihn lange betrachtet, als würde sie ihn
zum ersten Mal sehen. Dann hatte sie gesagt, er sei so ernst geworden. Francis
wusste nicht, ob es sie freute oder traurig machte.
    Er setzte sich einen Moment zu ihr und erzählte ihr
von seinem Treffen mit Anne-May, wie sie beim Essen alles auf einmal
runtergeschlungen hatte und dass er sie am Wochenende vielleicht wiedersehen
würde. Seine Mutter hörte zu und lächelte, wie sie es immer getan hatte. Doch
seit ihrem Selbstmordversuch war vieles anders. Sie hatten beide nie den Mut
gehabt, sich auszusprechen, seine Mom hatte sich zurückgezogen und sagte ihm
kaum noch, was er tun sollte. Er selbst hatte ihr wiederum nicht erzählt, wer
sein Vater in Wirklichkeit war. Stattdessen hatte er ihr gesagt, dass er diesen
Dr. Ian Doble nicht habe finden können, und in gewisser Weise stimmte das ja
auch.
    Eines wusste Francis jedenfalls sicher: Er würde
seiner Mutter niemals verraten, dass ihre

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