Fast geschenkt
mir vor ein paar Tagen erzählt, dass er schon seit drei Jahren versucht, in New York Fuß zu fassen. Drei Jahre!
»Ich kann es kaum glauben, dass du schon so lange an diesem Projekt gearbeitet und mir nie davon erzählt hast«, sage ich, während er etwas auf einen Post-It-Zettel kritzelt.
»Hm«, macht Luke. Meine Finger schließen sich etwas fester um den Papierstapel und ich atme tief durch. Es gibt da etwas, das ich schon seit einiger Zeit loswerden möchte - und ich finde, jetzt wäre eine Gelegenheit.
»Luke, was hättest du gemacht, wenn ich nicht nach New York gewollt hätte?«
Das leise Brummen des Computers unterstreicht das folgende Schweigen.
»Ich wusste, dass du wollen würdest«, sagt Luke schließlich. »New York ist der nächste logische Schritt für dich.«
»Aber... was, wenn ich nicht gewollt hätte?« Ich beiße mir auf die Lippe. »Wärst du trotzdem gegangen?« Luke seufzt.
»Becky - du möchtest doch nach New York, oder?«
»Ja! Das weißt du doch!«
»Also, und was soll dann diese Wenn-dann-hätte-würde-Fragerei? Ich meine: Du willst nach New York, ich will nach New York... ist doch perfekt.« Er lächelt mich an und legt den Stift hin. »Wie geht es deinen Eltern damit?«
»Ach... ganz gut«, sage ich zögernd. »Sie gewöhnen sich langsam dran.«
Und das stimmt auch so halbwegs. Sie waren allerdings ziemlich geschockt, als ich es ihnen erzählt habe. Im Nachhinein hätte ich es ihnen vielleicht etwas schonender beibringen sollen. Ich hätte ihnen zum Beispiel Luke vorstellen können, bevor ich das mit New York erzählt habe. Es war nämlich so, dass ich ins Haus gestürmt bin, wo die beiden -immer noch in ihrer Festkleidung mit einer Tasse Tee vor dem Fernseher saßen, die Glotze ausgeschaltet und freudig verkündet habe: »Mum, Dad - Luke und ich ziehen nach New York!«
Woraufhin meine Mutter meinen Vater einfach nur unendlich traurig angesehen und gesagt hat: »O Graham. Jetzt ist sie völlig übergeschnappt.«
Hinterher hat sie zwar gesagt, dass sie das nicht so gemeint habe - aber da bin ich mir nicht so sicher.
Und dann haben sie endlich Luke kennen gelernt, und er hat ihnen von seinen Plänen erzählt und ihnen erklärt, welche Möglichkeiten ich beim amerikanischen Fernsehen hätte, und ich konnte dabei zusehen, wie meiner Mutter langsam das Lächeln erstarb. Es war, als wenn ihr Gesicht immer kleiner werden und sich verschließen würde. Als sie in die Küche ging, um noch mehr Tee zu machen, bin ich hinter ihr hergegangen, und da wurde mir bewusst, wie sehr sie das mitnahm. Aber sie wollte es partout nicht zeigen. Sie machte einfach nur mit leicht zitternden Händen den Tee, holte ein paar Kekse aus einer Dose - und dann drehte sie sich mit einem strahlenden Lächeln zu mir um und sagte: »Ich habe schon immer gedacht, dass du richtig gut nach New York passen würdest, Becky. New York ist die richtige Stadt für dich.«
Ich glotzte sie an, da mir mit einem Mal klar wurde, worum es hier eigentlich ging. Ich hatte vor, Tausende von Kilometern weit weg zu ziehen, weg von zu Hause, von meinen Eltern, von... meinem ganzen Leben eigentlich. Bis auf Luke.
»Aber ihr... ihr kommt mich doch oft besuchen, ja?« Meine Stimme bebte verdächtig.
»Aber natürlich, Becky! Sooft wir können!«
Sie drückte mir die Hand und sah in eine andere Richtung. Dann gingen wir wieder ins Wohnzimmer und redeten im Grunde nicht mehr darüber.
Aber am nächsten Morgen, als wir zum Frühstück herunterkamen, sprachen Mum und Dad von einer Anzeige in der Sunday Times, in der Ferienhäuser in Florida angeboten wurden - eine Investition, über die sie angeblich schon lange nachgedacht hatten. Als wir uns am Nachmittag von ihnen verabschiedeten, stritten sie sich gerade leidenschaftlich darüber, ob nun DisneyWorld in Florida oder Disneyland in Kalifornien besser sei - dabei weiß ich ganz genau, dass keiner von beiden jemals auch nur einen Fuß in einen dieser Parks gesetzt hat.
»Ich muss weitermachen, Becky«, unterbricht Luke mich in meinen Gedanken. Er nimmt den Telefonhörer und wählt eine Nummer. »Wir sehen uns heute Abend, okay?«
»Okay«, sage ich, bleibe aber vor dem Fenster stehen. Mir fällt noch etwas ein, und ich drehe mich zu ihm um: »Hey, hast du schon das Neueste über Alicia gehört?«
»Was denn?« Luke sieht den Hörer fragend an und legt dann auf.
»Mel meint, dass sie eine Affäre hat. Mit Ben Bridges! Was sagst du dazu?«
»Nichts«, sagt Luke und fängt an,
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