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Faszination Menschenfresser

Faszination Menschenfresser

Titel: Faszination Menschenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Ludwig
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und 300 Kilo Schiffszwieback und schaffte alles in drei Walfangboote, die man vorher mit provisorischen Segeln versehen und, so gut es in der gebotenen Eile ging, hochseetauglich gemacht hatte. Ziel war es, zunächst nach Süden zum 25. oder 26. Breitengrad zu segeln, um dann von dort aus mithilfe günstiger Winde die chilenische Küste zu erreichen. Nach einer entbehrungsreichen Fahrt, die von Stürmen, brennender Sonne sowie quälendem Hunger und Durst geprägt war, erreichten die drei Boote zunächst die unbewohnte Pitcairn-Insel Henderson. Dort fanden die Schiffbrüchigen jedoch kaum Nahrung und nur eine äußerst spärlich rinnende Süßwasserquelle vor, sodass sie sich entschlossen, erneut aufzubrechen und zu versuchen, die Osterinseln zu erreichen. Nur drei Besatzungsmitglieder glaubten, auf der Insel bessere Überlebenschancen zu haben, und blieben zurück.
    Rund 50 Tage nach dem Untergang der Essex verlor dann das von Obermaat Owen Chase geführte Boot während eines Sturms den Kontakt zu den beiden anderen Booten. Auf Owens Boot gingen kurz darauf die Nahrungsmittel aus und die ersten Besatzungsmitglieder verhungerten. Die Überlebenden waren vom Hunger derart gepeinigt, dass sie dazu übergingen, die Toten zu verspeisen. Der grausige Akt des Kannibalismus rettete mit Sicherheit die drei verbliebenen Besatzungsmitglieder – neben Owen noch den Steuermann Benjamin Lawrence und den Kabinenjungen Thomas Nickerson. Am 18. Februar 1821 konnten sie in der Nähe des Juan-Fernández-Archipels, einer zu Chile gehörenden Inselgruppe, vom britischen Handelsschiff Indian gerettet werden.
    Auch auf den beiden anderen Booten wurden aus der Not heraus die an Hunger und Erschöpfung gestorbenen Schiffskameraden verspeist. Am 28. Januar verlor auch das Boot von Kapitän Pollard den Kontakt zum dritten Boot, von dem man nie wieder etwas hörte. Im Boot Pollards wurde die Situation dann derart dramatisch, dass Lose gezogen wurden, wer getötet werden sollte, um seinen Schiffskameraden als Nahrung zu dienen. Der »schwarze Fleck« traf zuerst den Schiffsjungen. Wenig später starb noch ein weiteres Besatzungsmitglied. Als am 23. Februar das Walfangschiff Dauphin in der Nähe der chilenischen Küste auf die Schiffbrüchigen traf, bot sich den Walfängern ein Bild des Grauens: Menschenknochen übersäten die Planken des Boots, das die Retter kurz zuvor in der Dünung gesichtet hatten. Zwei ausgemergelte Gestalten kauerten in Bug und Heck – lediglich Kapitän Pollard und der Matrose Charles Ramsdell hatten überlebt. Das ganze bizarre Ausmaß des Grauens schildert der amerikanische Historiker Nathaniel Philbrick eindrücklich in seinem auf Augenzeugenberichten beruhenden Buch Im Herzen der See. Die letzte Fahrt des Walfängers Essex : »Die Haut mit Geschwüren übersät, nagten die Schiffbrüchigen mit hohlwangigen Gesichtern an den Knochen ihrer toten Kameraden. Selbst als schon die Retter herbeieilten, wollten sie nicht von ihrem grausigen Mahl lassen.« Die drei Seeleute von der Henderson Insel wurden wenig später von einem Handelsschiff an Bord genommen. Insgesamt überlebten von den 22 Besatzungsmitgliedern gerade mal acht die Katastrophe, von den 13 Toten waren fünf von ihren Schiffskameraden verspeist worden.
    Die Essex war nicht das einzige Walfangschiff, das einem wütenden Pottwalbullen zum Opfer gefallen war. Auch die Pusie Hall (1835), die Two Generals (1838), die Pocahontas (1850) und die Ann Alexander (1851) wurden von Pottwalen durch Rammstöße mit dem Kopf versenkt. Und vor der japanischen Küste soll ein Wal sogar vier Schiffe angegriffen und zwei davon versenkt haben.
    Möglich macht die tödlichen Rammstöße der gewaltige Kopf der Pottwale, der rund ein Drittel der Gesamtlänge der großen Meeressäuger ausmacht. Der lateinische Name des Pottwales ( Physeter macrocephalus ) lautet deshalb auch frei übersetzt »großkopfiger Bläser«. Die eigentümliche, nahezu viereckige Form des Kopfes ist durch ein massiges Polster auf dem Vorderkopf bedingt. In diesem Polster befindet sich ein riesiger Hohlraum, in dem sich eine gelbliche, wachsartige Substanz, der sogenannte Walrat, befindet. Früher glaubte man, der Walrat sei die Samenflüssigkeit des Pottwales und bezeichnete ihn deshalb als »Spermaceti« = Walsamen. Aus dem gleichen Grund heißt der Pottwal im anglo-amerikanischen Sprachraum Sperm-Whale = Samenwal. Die tatsächliche Bedeutung des Spermaceti-Organs, das bis zu zwei Tonnen schwer sein kann,

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