Faszination Menschenfresser
Verdauen einer großen Beute auch für Herz und Lunge der Riesenschlangen Schwerstarbeit, verbraucht doch der Verdauungsvorgang selbst rund 40-mal mehr Sauerstoff als im Ruhezustand. Das ist durchaus vergleichbar mit der Stoffwechselleistung eines Rennpferdes in vollem Galopp. Allerdings müssen Rennpferde diese Höchstleistung bekanntermaßen nur wenige Minuten durchhalten. Riesenschlangen müssen diesen Zustand dagegen schon ein paar Tage lang erbringen können. Wie die Schlangen das schaffen, fand 2005 ein Forscherteam der University of California heraus: Die Riesenschlangen lassen einfach ihr Herz wachsen. Mithilfe der vermehrten Produktion eines bestimmten Proteins steigern die Reptilien bereits kurze Zeit nach dem Fressen ihre Herzmuskelmasse um satte 40 Prozent, wodurch natürlich die Pumpkapazität des Herzens drastisch erhöht wird. Dadurch wiederum können die riesigen Reptilien pro Herzschlag bis zu 50 Prozent mehr Blut durch ihre Blutgefäße pumpen als unter normalen Bedingungen, was sich wiederum positiv auf die Sauerstoffversorgung des Körpers und andere Lebensvorgänge auswirkt. Diese physiologische Herzvergrößerung kennen wir auch von Ausdauersportlern. Allerdings dauert beim Menschen dieser in der Fachsprache als Hypertrophie bezeichnete Anpassungsvorgang Wochen, wenn nicht Monate. Ein Python schafft das in gerade mal 48 Stunden. Aber diese Art der Turboverdauung hat auch einen Haken: Sie ist energetisch ziemlich ungünstig. Die Schlange kann nämlich gerade mal die Hälfte der aufgenommenen Kalorien in ihren Energiespeichern bunkern, den Rest benötigt sie für die kraftraubenden Verdauungsprozesse. Allerdings bleibt den gewaltigen Reptilien in Sachen schnelle Verdauung keine Wahl. Riesenschlangen, die sich bei der Verdauung zu viel Zeit lassen, begeben sich nämlich in akute Todesgefahr. Beginnt das im Magen befindliche Beutetier doch schon nach kurzer Zeit von innen her zu verwesen. Dabei entstehen nicht nur Gase, die überaus schmerzhafte Blähungen verursachen können, sondern vor allem auch gefährliche Leichengifte, die relativ schnell zum Tode der Riesenschlange führen können. Mit dem Ende der Verdauung schaltet die Schlange aus ökonomischen Gründen sofort wieder auf »Normal-Modus« zurück: Alle aufgepeppten Organe wie Darm, Herz oder Leber schrumpfen jetzt genauso schnell wieder auf Normalmaß zurück, wie sie zuvor gewachsen sind. Welche Mechanismen den Wachstums- bzw. Schrumpfprozessen zugrunde liegen, ist noch weitgehend unklar. Zur Verdauung ziehen sich Riesenschlangen aus Sicherheitsgründen üblicherweise in ein Versteck zurück. Im vollgefressenen Zustand mit aufgeblähtem Bauch können sie sich nämlich nur sehr schwer gegen einen potenziellen Angreifer verteidigen. Nach erfolgreicher Verdauung ist bei Riesenschlangen erst einmal für ein paar Wochen oder gar Monate eine Art Heilfasten angesagt. Die Tiere brauchen diese Erholungsphase dringend. Sie müssen nämlich erst einmal wieder die Zellen ihrer Darmschleimhäute regenerieren, die beim Turboverdauungsvorgang doch arg in Mitleidenschaft gezogen wurden. Für Riesenschlangen kein Problem: Nach einer üppigen Mahlzeit können die Reptilien bis zu anderthalb Jahre (!) überleben, ohne wieder Nahrung zu sich zu nehmen.
Aber zurück zu unserer eigentlichen Frage: Können jetzt Riesenschlangen einen Menschen am Stück verzehren oder nicht? Horrorgeschichten über menschenverschlingende Riesenschlangen gibt es, wie gesagt, mehr als genug. Vor allem im Sommerloch tauchen in der Boulevardpresse regelmäßig Sensationsberichte über menschenverschlingende Anakondas oder Pythons auf. Allerdings wird die Gefahr, die von Riesenschlangen für Menschen ausgeht, meist gewaltig übertrieben und grenzt in vielen Fällen schon an Hysterie. Aber es darf auch nicht verschwiegen werden, dass im Laufe der Jahre auch einige wenige, aber durch glaubhafte Zeugenaussagen bestätigte Fälle bekannt geworden sind, bei denen Menschen tatsächlich von großen Riesenschlangen getötet und auch verschlungen wurden. Insbesondere Kinder sind schon mehrfach Pythons oder Anakondas zum Opfer gefallen. So wurde 1972 in Burma, im heutigen Myanmar, ein achtjähriger Junge von einem riesigen Netzpython verschlungen. Sieben Jahre später wurde im Norden Südafrikas ein 13-jähriger Hirtenjunge von einem viereinhalb Meter langen Felsenpython attackiert. Ein zweiter Hirtenjunge, der den Angriff der Riesenschlange beobachtet hatte, rannte sofort ins nächste Dorf,
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