Faszination Menschenfresser
über, auch Kriegsgefangene zum Verzehr zu töten. In einigen wenigen Fällen wurde sogar vor den eigenen Kameraden nicht haltgemacht. Der indische Lance Corporal Hatam Ali, der auf Neuguinea in Gefangenschaft geriet, berichtete später sehr anschaulich, was dort mit den Gefangenen passierte: »Die Japaner begannen irgendwann damit, bestimmte Gefangene auszuwählen. Jeden Tag wurde ein Gefangener hingerichtet und anschließend von den Soldaten verspeist. Ich habe diese Geschehnisse persönlich beobachtet. Etwa 100 Gefangene wurden in diesem Lager von den Japanern gegessen. Der Rest von uns wurde an einen 80 Kilometer entfernten Ort gebracht, wo zehn Gefangene an Krankheiten starben. In diesem Lager wurden wieder Gefangene ausgewählt, um sie zu verspeisen. Die Ausgewählten wurden in eine Hütte gebracht, wo ihnen das Fleisch bei lebendigem Leib von den Knochen getrennt wurde und sie danach achtlos in einen Graben geworfen wurden, wo sie elendiglich zugrunde gingen.« Übereinstimmend berichtet auch der amerikanische Autor und Zweiter-Weltkrieg-Experte James Bradley in seinem Buch Flyboys: A True Story of Courage , dass japanische Soldaten amerikanische Gefangene nicht nur ermordeten, um aus rituellen Gründen ihre Leber zu verzehren, sondern eben auch ihren Gefangenen bei lebendigem Leib diverse Gliedmaßen amputierten, um möglichst frisches Fleisch verzehren zu können.
Nach einer Dokumentation der Wissenschaftlichen Kommission für deutsche Kriegsgefangenengeschichte ist es auch nach dem Zweiten Weltkrieg unter deutschen Kriegsgefangenen in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern zu Kannibalismus gekommen. So berichtete ein aus russischer Gefangenschaft heimgekehrter deutscher Arzt bei einer Befragung: »Aus dem Lager, in dem ich selbst war, weiß ich aus eigener Erfahrung, dass der Hunger dort zum Kannibalismus führte. Von den nachts Gestorbenen waren am nächsten Morgen sichtbar Leichenteile angeknabbert, wobei dann über die Urheber natürlich nur gemunkelt wurde.«
Zu einem traurig-berühmten Fall eines aus purer Not entstandenen Kannibalismus neueren Datums kam es im Oktober1972 , nachdem eine Maschine der uruguayischen Luftstreitkräfte in rund 4000 Metern Höhe an einem Berghang der chilenischen Anden zerschellt war. Von den 45 Menschen an Bord, zumeist Spieler einer Rugbymannschaft, überlebten 27 den Absturz. Die Überlebenden sahen sich plötzlich völlig unzureichend ausgerüstet mit einer lebensfeindlichen Umgebung aus Eis und Schnee konfrontiert, aus der es kein Entkommen zu geben schien. Bereits in der ersten Nacht sanken die Temperaturen auf bis zu -40 °C. Und auch die wenigen an Bord vorhandenen Nahrungsvorräte waren rasch aufgebraucht. Der Gesundheitszustand der ohnehin schon stark geschwächten Überlebenden wurde dadurch rasch kritisch. Dazu kam noch die Tatsache, dass in großer Höhe der Bedarf des menschlichen Körpers an Energie geradezu gigantisch ist. Allein um sein Körpergewicht zu halten, benötigt ein mittelgroßer Mann in 4000 Metern Höhe über 15 000 Kilokalorien täglich. Ist die Kalorienzufuhr geringer, muss der Körper zwangsläufig seine Reserven in Form von Eiweiß und Fett angreifen. Letztendlich blieb den Überlebenden nur eine einzige Chance: Sie mussten die Toten essen. Die Überlebenden machten sich die Entscheidung, ihre toten Mitpassagiere zu verzehren, übrigens alles andere als leicht. Unter den beim Absturz ums Leben Gekommenen befanden sich nämlich auch viele Freunde und Verwandte der Hungernden. So legte man zunächst aus Rücksicht auf die Angehörigen sechs Leichen beiseite, die nur im äußersten Notfall gegessen werden sollten. Letztendlich wurden jedoch nur zwei der Leichen nicht angetastet. Nach rund zwei Monaten war dann trotz des Leichenverzehrs die Ernährungslage äußerst kritisch geworden. Die Überlebenden waren mittlerweile dazu übergegangen, auch das Gehirn und die Innereien der Toten zu essen. Sie brachen sogar die Knochen auf, um an das nahrhafte Mark zu gelangen. Schließlich, auch begünstigt durch eine starke Schneeschmelze, machten sich zwei der Männer, die noch über die größten Energiereserven verfügten, auf den Weg, um Hilfe herbeizuholen. Die beiden Männer benötigten zehn lange Tage, um die Anden zu überwinden und die Zivilisation zu erreichen. Einen Tag später evakuierten zwei Helikopter die Zurückgebliebenen. Die Überlebenden wurden wie Nationalhelden gefeiert. Auch heute, fast 40 Jahre später, beschäftigen sich einige
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