Faszination Menschenfresser
der Überlebenden noch massiv mit dem dramatischen Geschehen, das als »Wunder der Anden« in die Geschichte eingegangen ist. Sie halten weltweit wohldotierte Vorträge zum Thema »Überleben in Extremsituationen« und standen auch den verschütteten Bergleuten nach dem aufsehenerregenden Grubenunglück in Chile 2010 mit Rat und Tat zur Seite.
Nach jüngsten Berichten des Flüchtlingshilfswerks North Korean Refugees Assistance Fund ( NKRAF ) soll im notorisch von Hungersnöten geplagten »Arbeiter- und Bauernstaat Nordkorea« mitunter sogar mit Menschenfleisch gehandelt werden. Berichten von Flüchtlingen zufolge sollen Tausende Menschen, darunter auch viele Kinder, ermordet und ihr Fleisch anschließend auf dem Schwarzmarkt als Schweinefleisch verkauft worden sein. Auch seien frische Gräber geplündert und die ausgebuddelten Leichen anschließend zerteilt und dann sogar unter anderem auf Bauernmärkten und in Restaurants angeboten worden sein. Ganz neu sind diese Behauptungen des Flüchtlingshilfswerks übrigens nicht: So berichtete die in Hongkong erscheinende South China Morning Post bereits1997 , dass in der im Norden Nordkoreas gelegenen Stadt Hamhung eine Frau zum Tode verurteilt worden war, weil sie über ein Dutzend Kinder getötet und anschließend das Fleisch verkauft habe. In einem anderen chinesischen Blatt lieferte der Verfasser eines Artikels über den in Nordkorea grassierenden Kannibalismus seinen interessierten Lesern gleich noch die Information mit, wie man Menschen- von Tierfleisch unterscheiden könne: Während Tierfett in runden Tropfen kristallisiere, würde Menschenfett dies in Diamantform tun.
In nicht wenigen Kulturen traf man früher auf kannibalistische Praktiken, deren Ursprung nicht im Nahrungserwerb, sondern in rituellen Gründen zu suchen ist. Wissenschaftler ziehen hier fein säuberlich eine Trennlinie zwischen »Exokannibalen«, die Feinde oder politische Gegner verzehren, und »Endokannibalen«, die sich kulinarisch gesehen eher an Freunde und Verwandte halten. Während Exokannibalen meist glaubten, durch den Verzehr von Körperteilen ihrer getöteten Gegner, vorzugsweise dem Herzen, sich auch die positiven Eigenschaften des Toten wie Mut, Stärke und Kraft einverleiben zu können, hatte der Verzehr von nahen Verwandten oder Stammesangehörigen einen anderen Zweck: Man wollte man durch Verspeisen von Herz und/oder Gehirn die Seele des teuren Verblichenen erhalten. Manche Wissenschaftler stellen hier auch gerne einen Zusammenhang mit dem christlichen Abendmahl her, bei dem die Gläubigen den Leib und das Blut Christi in Form von Brot und Wein verzehren.
Die amerikanische Ethnologin Beth Conklin beschreibt in ihrem Buch Consuming Grief sehr eindrücklich am Beispiel der Wari’, einem brasilianischen Urwaldvolk, das sowohl Endo- als auch Exokannibalismus praktizierte, die Unterschiede in den kannibalistischen Riten. Ihre eigenen verstorbenen Verwandten oder Stammesangehörigen verspeisten die Wari’ stets im Rahmen einer aufwendigen Zeremonie. Ein Verhalten, dass gegenüber dem Toten Liebe und Wertschätzung zeigen sollte. Einem getöteten Feind dagegen brachten die Wari’ beim Verzehr keinerlei Respekt entgegen und behandelten seinen Körper ähnlich wie ein erlegtes Tier. Ein Verhalten, das von der Wissenschaft als sogenanntes Dominanzverhalten interpretiert wird.
Nach einem Bericht des spanischen Schriftstellers Bernal Díaz del Castillo (1492–1581), einem Weggefährten des berühmten Konquistadoren Hernando Cortes, aßen auch die Azteken nach der Schlacht offenbar aus religiösen Gründen Leichenteile ihrer gefangen genommenen Feinde. Und das offenbar nicht zu knapp, denn in den sogenannten Blumenkriegen der Azteken wurden oft Tausende von Opfern verspeist. Diese Kriege dienten nicht etwa der Eroberung, sondern allein der Beschaffung von Kriegsgefangenen, die später als Menschenopfer den Göttern dargebracht werden sollten. Herz und Schädel des Opfers wurden für zeremonielle Zwecke genutzt, der Rest des Körpers ging an die Familie des Kriegers, der das Opfer gefangen hatte. Menschenfleisch wurde bei den Azteken meist gegart und leicht gesalzen verzehrt. Als Beilage diente gekochter Mais. Folgt man der Wissenschaft, dann war das rituelle Verspeisen ihrer ehemaligen Gegner für die Azteken eine heilige Handlung, durch die man näheren Kontakt mit den Göttern erreichen bzw. vertiefen wollte. Andere Forscher gehen allerdings davon aus, dass es schlichtweg ein Mangel an
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