Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
geistigen Auge – er saß mit Clio vor dem Feuer in seinem Schlafzimmer. In einträchtigem Schweigen lasen sie in ihren Büchern. Und dann griff sie lächelnd nach seiner Hand. Siehst du, sagte sie, zusammen daheimzubleiben – das ist viel besser als jede Party …
Ironisch lachte er über seinen Tagtraum. Die erotischen Fantasiebilder von einer nackten Clio waren schon unsinnig genug – Visionen von häuslicher Idylle noch unmöglicher. Aber so erstrebenswert … Und diese Erkenntnis beunruhigte ihn …
Selbst wenn Clio mit ihm vor einem Kaminfeuer sitzen wollte – für ein solches Glück würde er keine Zeit finden. Die Verzweiflung der Räuber, die sich in dem geheimen Haus trafen, wuchs mit jedem Tag, ebenso wie die Ungeduld der ausländischen Kundschaft. Um die potenziellen Käufer zu entlarven, musste er alle Partys besuchen. Wenn sie glaubten, er sei nichts weiter als ein steinreicher, extravaganter Herzog, würden sie sich in seiner Gegenwart vielleicht zu unvorsichtigen Äußerungen hinreißen lassen. Und vielleicht vermuteten sie sogar, auch er wäre an gestohlenen Antiquitäten interessiert.
Und wenn er mit Clio Chase im Mondlicht Walzer tanzen konnte – nun, das wäre immerhin ein Lichtblick.
16. KAPITEL
Eine perfekte Nacht – fast pechschwarz, hin und wieder vom schwachen Schimmer des Mondes erhellt, der manchmal zwischen dichten Wolken hervorglitt … Nichts ahnende Passanten würden verstohlene Bewegungen diesem Wechselspiel von Licht und Schatten zuschreiben.
Obwohl die englische Gemeinde von Santa Lucia auf der Walzerparty der Manning-Smythes tanzte, wusste Clio, dass ihr nicht viel Zeit blieb. In dieser Stadt dauerten die Soireen nicht bis zum Morgengrauen wie in London. Und der Duke war nicht so arglos und unaufmerksam wie die meisten einstigen „Opfer“ der Liliendiebin. Einige hatten ihre Schätze erst nach mehreren Tagen vermisst. Aber Edward würde sofort erkennen, was entwendet worden und wer dafür verantwortlich war.
Nun, sie wollte nichts stehlen, solange sie es für unnötig hielt, und sich nur informieren.
In schwarzen Breeches und einem schwarzen Hemd, das Haar unter einer schwarzen Kappe verborgen, kauerte sie im Gebüsch vor Edwards Palazzo und starrte zur Fassade hinauf, studierte die schmalen Fenstersimse und Efeuranken. In welchem Raum würde er die antike Silberschale verstecken – einen so wertvollen, gefährlichen Besitz?
Wie Rosa von ihrem Sohn Lorenzo, einem Lakaien im Palazzo Picini, erfahren hatte, verwahrte der Duke den Großteil seiner Kunstschätze im Schlafzimmer. Dort, so beschloss Clio, werde ich mit meiner Suche beginnen, hoffentlich mit Erfolg.
Sie schlich um das Gebäude herum, zum hinteren Garten, der an einem Steilhang lag. Erleichtert entdeckte sie einen hohen alten Baum nahe der Hausmauer, mit knorrigen Ästen, die bis zu Balkonen und dunklen Fenstern reichten. Nirgendwo brannte Licht, kein Geräusch störte die Stille. Also würden die Dienstboten in ihrem Quartier im Souterrain beim Abendessen sitzen und schwatzen.
Und da sie für einen Herrn wie den Duke of Averton arbeiteten, würden diverse Gerüchte und Spekulationen die Leute stundenlang beschäftigen.
Clio umfasste einen tief hängenden Ast, schwang sich empor und kletterte zur Krone des Baums hinauf. Trotz der Gefahr und ihrer Angst empfand sie eine seltsame Freude – wie einen kühlen, frischen Wind, nachdem sie zu lange in einem stickigen Raum eingesperrt worden war.
Bis zu diesem Moment hatte sie nicht gewusst, wie sehr ihr das respektable Leben missfiel. Nun fühlte sie sich so frei wie einer der Adler, die manchmal über das Tal hinwegschwebten, die Schwingen weit ausgebreitet.
Allzu lange würde das Glück nicht währen. Wenn sie fand, was sie suchte, musste sie hinabsteigen, und das köstliche Bewusstsein grenzenloser Freiheit wäre verloren. Deshalb wollte sie das Beste aus den flüchtigen Augenblicken machen.
Sonderbar – der einzige Mensch, mit dem sie diese seltene Freude gern teilen und der ihre Emotionen verstehen würde, war Edward. Wurde er nicht ebenfalls gefangen gehalten, von den Ketten seiner Herzogswürde? Diesem Gefängnis konnte er nur hin und wieder in geheimen Aktivitäten entfliehen.
Und sein Verständnis für ihre Sehnsucht, eine bizarre Seelenverwandtschaft, war in dieser Nacht ihr Feind – sie könnte seinen Argwohn erregen …
Clio erreichte einen Balkon, sprang über das schmiedeeiserne Geländer und landete lautlos auf dem Boden. Sobald sie zu
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