Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
in Santa Lucia hatte er sofort gemerkt, wie schwierig es sein würde, Clio von dem antiken Silber fernzuhalten. Die Chase-Töchter waren berühmt für ihren starken Willen, ihren Freigeist, zweifellos ein Erbe ihrer französischen Mutter, eines charakterfesten Blaustrumpfs. Und Clio war bei Weitem die schlimmste aller Chase-Musen. Wer sonst hätte die Rolle der Liliendiebin so perfekt gespielt?
Warum sie sich dazu entschlossen hatte, wusste er. Weil sie die Wissenschaft, die Geschichte und die Kunst liebte, weil sie immer tat, was sie richtig fand – zum Teufel mit den Konsequenzen! Er bewunderte ihren Kampfgeist. Zudem war sie sehr leidenschaftlich. Und leidenschaftliche Menschen ließen sich nur selten Vorschriften machen. Aber ich bin mindestens genauso zielstrebig, dachte Edward. Und ich werde dafür sorgen, dass ihr nichts zustößt.
Am Ende der Straße blieb er stehen und schaute zu Clios Haus zurück. In ihrem Fenster brannte immer noch Licht, alle anderen Räume lagen im Dunkel. Santa Lucia schlief unter der Decke eines bewölkten Nachthimmels, eine pittoreske, alte kleine Stadt. Doch er wusste, welche Gefahr unter dieser friedlichen Idylle lauerte – ein Schatten, der eben erst Gestalt annahm.
Wie auch immer, Clio war nicht allein. So entschieden sie mich auch bekämpfen mag, ich werde sie beschützen .
18. KAPITEL
Erbost stocherte Clio mit ihrem Spaten in der feuchten Erde. Die Sonne schien gnadenlos vom wolkenlosen Himmel herab. In der sengenden Hitze schwiegen sogar die Vögel und Insekten.
Clio hielt sich allein in ihrem Bauernhaus auf, was sie kein bisschen störte. An diesem Nachmittag würde sie keine Gesellschaft ertragen, denn sie wollte sich ausschließlich auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie wischte mit einem Handrücken über ihre feuchte Stirn und spähte in den Graben, den sie entlang der bröckelnden Mauer ausgehoben hatte. Darin suchte sie etwas, das bestätigen oder entkräften würde, was Edward behauptet hatte – dass diese Ruine mit dem alten Tempelsilber zusammenhing.
Aber sie fand nicht einmal Tonscherben. Sie nahm ihre Brille ab und rieb ihren Nasenrücken. Während der vergangenen Nacht hatte sie kaum geschlafen und stundenlang die Ereignisse im Palazzo Picini überdacht. Die versteckte antike Schale, Artemis, der Kuss … Warum musste sie bei jeder Begegnung in Edwards Arme sinken?
Sie schleuderte den Spaten zu Boden. Könnte sie ihn doch an den attraktiven Kopf dieses unmöglichen Mannes werfen, der sie unentwegt betörte! Seufzend setzte sie sich in den spärlichen Schatten einer Zypresse und zog eine Wasserflasche aus ihrem Tornister. Viel war nicht mehr übrig, und sie trank nachdenklich die letzten warmen Tropfen.
Warum wollte Edward sie an der Arbeit im Bauernhaus hindern? Um sie vor irgendwelchen Gefahren zu schützen, die er nicht definierte? Oder aus eigensüchtigem Interesse an dem alten Tempelsilber?
Wieder einmal schienen ihre Gedanken ihn heraufzubeschwören. Als ihr Blick ins Tal schweifte, sah sie ihn den schmalen Weg heranreiten. In der Hitze trug er kein Jackett, nur ein weißes Hemd, eine schlichte schwarze Weste, seine Wildlederbreeches und hohe Stiefel. So golden wie die Sonne leuchtete sein Haar.
Wieso hatte sie ihn mit dem düsteren Gott Hades verglichen, wenn er doch Apollo ähnelte, dem Gott des Lichts? Aber Apollo neigte ebenso wie Hades dazu, sich einfach zu nehmen, was ihm gefiel, und die Konsequenzen zu missachten.
Clio erhob sich, setzte ihre Brille wieder auf und beobachtete, wie er von seinem Rappen stieg. Langsam schlenderte er zu ihr. „Wieder bei der Arbeit?“
„Ja. Bisher sind keine rachsüchtigen Geister aufgetaucht.“
„Vielleicht sind sie winzige Kobolde, verstecken sich in den Ritzen dieser Ruine und springen hervor, wenn man es am allerwenigsten erwartet.“
„Dazu muss man kein winziger Kobold sein. Auch ausgewachsene Herzöge sind wahre Meister in der Kunst, arglose Leute zu überrumpeln.“
Edward lachte. „Heute habe ich versucht, mich nicht an dich heranzupirschen, und Zeus gebeten, er möge die Hufschläge meines Pferdes möglichst laut klappern lassen.“
Trotzdem hatte sie seine Ankunft zu spät bemerkt. „Da du offensichtlich darauf bestehst, hierzubleiben – möchtest du dich mit mir in den Schatten setzen? Leider kann ich dir keine Erfrischung anbieten.“
„Oh, das macht nichts, ich habe etwas mitgebracht.“ Er kehrte zu seinem Pferd zurück und holte eine Flasche und zwei Kelche aus der Satteltasche.
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