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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wohl möglich gewesen...«
    »Können Sie mit Bestimmtheit sagen, dass überhaupt jemand die ganze Zeit in der Großen Halle war?«
    Miss Marple überlegte. »Ja, Mrs Serrocold – denn die habe ich nicht aus den Augen gelassen. Sie saß ziemlich nahe bei der Arbeitszimmertür und ist kein einziges Mal aufgestanden. Wissen Sie, ich war überrascht, dass sie so ruhig blieb.«
    »Und die anderen?«
    »Miss Bellever ist hinausgegangen, aber ich glaube – ich bin fast sicher –, dass das nach dem Schuss war. Mrs Strete? Kann ich wirklich nicht sagen. Sie saß nämlich hinter mir. Gina war drüben am Fenster. Ich glaube, sie ist die ganze Zeit dort geblieben, aber genau kann ich es natürlich nicht sagen. Stephen saß am Flügel. Er hat zu spielen aufgehört, als der Streit hitzig wurde –«
    »Wir dürfen uns nicht durch den Zeitpunkt des Schusses irreführen lassen«, sagte Inspektor Curry. »Das ist ein Trick, der schon öfter angewandt wurde, wissen Sie. Man fingiert einen Schuss, um den Zeitpunkt eines Verbrechens zu fixieren, und zwar falsch. Wenn Miss Bellever sich so etwas ausgedacht hätte (weit hergeholt, aber man weiß nie), dann hätte sie genau so den Raum verlassen, vor aller Augen, nachdem der Schuss gefallen war. Nein, nach dem Schuss können wir nicht gehen. Christian Gulbrandsen verlässt die Halle, später findet Miss Bellever ihn tot auf – irgendwann dazwischen muss es passiert sein. Wir können nur die von der Liste streichen, die mit Sicherheit keine Gelegenheit hatten. Das sind Lewis Serrocold und der junge Edgar Lawson im Arbeitszimmer sowie Mrs Serrocold in der Halle. Bedauerlich, dass Gulbrandsen ausgerechnet an dem Abend erschossen wurde, an dem der junge Lawson auf Serrocold losgegangen ist.«
    »Nur ein bedauerlicher Zufall, meinen Sie?«
    »Ah! Sind Sie anderer Ansicht?«
    »Mir ist der Gedanke gekommen«, sagte Miss Marple leise, »es könnte so arrangiert worden sein.«
    »Und das ist jetzt Ihre Theorie?«
    »Na ja, alle finden es höchst merkwürdig, dass Edgar Lawson sozusagen aus heiterem Himmel einen Rückfall gehabt haben soll. Er hatte diesen komischen Komplex oder wie man das nennt, wegen seines unbekannten Vaters. Redete von Winston Churchill und Viscount Montgomery – alles durchaus verständlich bei seinem Zustand. Einfach jeder berühmte Mann, der ihm einfiel. Aber nehmen wir an, jemand anderer hat ihm den Floh ins Ohr gesetzt, dass in Wirklichkeit Lewis Serrocold sein Vater ist, dass Lewis Serrocold ihn verfolgt – dass er von Rechts wegen Kronprinz auf Stonygates sein sollte, sozusagen. In seinem Zustand glaubt er das, wird wütend und steigert sich immer mehr hinein – und früher oder später kommt es zu einer solchen Szene. Das wäre doch die perfekte Tarnung! Alle verfolgen wie gebannt die gefährliche Situation, die sich entwickelt – zumal wenn jemand so umsichtig war, ihm einen Revolver zuzustecken.«
    »Hm, ja. Walter Hudds Revolver.«
    »Ganz recht«, sagte Miss Marple, »daran hab ich auch gedacht. Aber wissen Sie, Walter ist zwar ein verschlossener, muffiger, ruppiger Kerl, aber für dumm halte ich ihn eigentlich nicht.«
    »Sie meinen also, Walter hat es getan?«
    »Jedenfalls wären alle erleichtert, wenn er's tatsächlich gewesen wäre. Das klingt herzlos, aber es liegt daran, dass er ein Außenstehender ist.«
    »Und seine Frau?«, fragte Inspektor Curry. »Wäre die auch erleichtert?«
    Miss Marple blieb die Antwort schuldig. Sie dachte an Gina und Stephen Restarick, wie sie an ihrem ersten Tag beisammen gestanden hatten. Und sie dachte daran, wie Alex Restaricks Blick sofort auf Gina gefallen war, als er am Abend in die Halle kam. Und was war mit Gina selbst?
     
     

II
     
    Zwei Stunden später kippte Inspektor Curry seinen Stuhl nach hinten, streckte sich und gähnte.
    »Na also«, sagte er, »da sind wir ja ein ganzes Stück weitergekommen.«
    Sergeant Lake stimmte zu. »Die Hausangestellten kommen nicht in Frage«, sagte er. »Sie waren in den entscheidenden Minuten alle beisammen – soweit sie hier wohnen. Die anderen waren heimgefahren.«
    Curry nickte. Er war erschöpft.
    Er hatte Physiotherapeuten vernommen, Mitglieder der Lehrerschaft und auch die, wie er sie nannte, »zwei freigelassenen jungen Knastbrüder«, die turnusmäßig an dem Abend mit der Familie gegessen hatten. Ihre Aussagen deckten sich oder ergänzten einander nahtlos. Die konnte er abschreiben. Sie machten alles gemeinsam. Es gab keine einsamen Seelen unter ihnen. Was im

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