Fatal Error
ihr eine abenteuerliche Geschichte über ein Missgeschick auf der Cresta-Skeleton-Bahn in Sankt Moritz erzählte. »Ist sie seine Aktuelle?«
»Nein ...«, ich hielt inne. »Zumindest noch nicht.« Doch als ich sie so betrachtete, war ich sicher, dass sie Feuer gefangen hatte. Das hatte auch Tony, dachte ich.
»Na ja, ich freue mich, dass mein Sohn einen guten Geschmack hat.« Er lächelte. »Dieses Haus wurde gebaut, um Frauen zu beeindrucken. Ich hoffe, auch Guy kann davon profitieren.«
»Ich denke, das wird er sicher.«
»Was ist mit dir? Gefallt dir Broadhill?«
Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass ich Tony ausführlich antwortete. Meine eher bescheidene Herkunft störte ihn überhaupt nicht, und er schien sich ehrlich für die Schule und die Verhältnisse dort zu interessieren. Natürlich war es nicht so, wie wenn ich mit meinen Eltern sprach, aber es war auch nicht wie eine Unterhaltung mit einem Gleichaltrigen. Die Fragen waren nicht so oberflächlich, und es fand auch nicht der krude Abgleich von Status oder Image statt, zu dem es unvermeidlich kommt, wenn sich zwei Achtzehnjährige unterhalten, die sich nicht kennen. Es war sehr angenehm. Ich fand ihn ausgesprochen liebenswürdig.
Als der rote Sonnenuntergang über den Hügeln in Richtung Nizza die See in einen goldenen Glanz tauchte, gingen wir ein paar Stufen zu einer Terrasse über dem Pool hinauf, wo das Dinner auf uns wartete. Ein Ziegenkäsesalat und Kochfisch in köstlicher Soße, dazu der beste Weißwein, den ich je getrunken hatte - die Fülle der Sinneseindrücke überwältigte mich. Außerdem war mir intensiv bewusst, dass Dominique neben mir saß, so intensiv, dass ich sie kaum anzusehen wagte, aus Angst, ich würde sie wieder anstarren.
Schließlich richtete sie das Wort an meine Schulter. »Sie sind sehr still heute Abend.«
»Wirklich? Tut mir Leid.«
»Sind Sie mit allem zufrieden?«
»Aber ja.« Widerstrebend wandte ich ihr den Kopf zu. »Das ist alles so ... Ich weiß nicht. Traumhaft.«
Zum ersten Mal hatte ich Gelegenheit, sie richtig zu betrachten. Ihr Gesicht war schmal, und ich bemerkte feine Linien um den Mund. Vermutlich war sie schon Ende Dreißig. Aber immer noch phantastisch. Absolut phantastisch. Obwohl die Sonne bereits fast untergegangen war, trug sie noch ihre Sonnenbrille, daher hatte ich keine Ahnung, wie ihre Augen aussahen. Doch ihre vollen Lippen lächelten. Der Körper, den ich vorhin selbstvergessen angestarrt hatte, war nun unter einem sicheren Umhang verborgen.
»Ist das Ihr Buch?« Sie nickte in Richtung meiner abgegriffenen Ausgabe von Krieg und Frieden, die ich überflüssigerweise mit an den Pool genommen hatte.
»Ja.«
»Langweilig.«
»Gar nicht so schlecht, sobald man hineingekommen ist«, sagte ich.
»Puh! Ich fand’s langweilig. Anna Karenina gefiel mir besser. Ihnen nicht? Na ja, wenn es um eine Frau geht, sind mir auch tausend Seiten nicht zu viel.«
»Ich habe es nicht gelesen«, sagte ich überrascht.
»Oh, das müssen Sie unbedingt.« Sie lachte. Ein heiseres, kehliges Lachen. »Sie sehen schockiert aus. Warum darf ich Anna Karenina nicht lesen?«
»Ah, ich weiß nicht.«
»Sie glauben, ich sei nur ein dummes Model?«
Genau das hatte ich gedacht. »Nein«, sagte ich.
Sie lachte wieder. »Natürlich haben Sie das geglaubt. Nun, ich habe Philosophie an der Universität Avignon studiert. Das Modeln war als ... wie sagen Sie? ... Nebenbeschäftigung gedacht. Doch dann wurde mein Studium zur Nebenbeschäftigung.«
»Wie schade«, sagte ich, ohne nachzudenken.
»Warum?«
»Ah . ich weiß nicht«, stammelte ich wieder und hatte Angst, ins Fettnäpfchen getreten zu sein.
Sie lachte. »Ich könnte in diesem Augenblick in einem Versicherungsbüro sitzen und hübsche kleine Briefe in Aktenordner heften. Meinen Sie das?«
»Nein«, sagte ich. »Aber bedauern Sie es nicht ein bisschen?«, »Manchmal. Aber nicht oft. Ich habe Spaß gehabt. Ziemlich viel. Haben Sie Spaß, David?«
»Na ja, ich denke, schon.«
»Ach ja?«
Ich nahm einen großen Schluck Wein und gewann einen Teil meiner Geistesgegenwart zurück. »Machen Sie sich über mich lustig?«
Sie lachte. »Ja. Engländer zu verderben ist meine Lieblingsbeschäftigung. Leider war Tony schon verdorben, als ich ihn kennen lernte. Mir scheint, sein Sohn tritt in die Fußstapfen des Vaters.«
Am anderen Ende des Tischs schmolz Mels Coolness sichtlich unter der gebündelten Charmeoffensive von Vater und Sohn dahin. Auch
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