Fatal - Roman
rechtmäßig über die Bühne gegangen; sie hatte es schriftlich. Der Beschluss war unumstößlich. Das Verfahren war reine Routine gewesen. Zum ersten Mal hatte sie sich mit Will im zweiten Stockwerk des Gerichtsgebäudes von Norristown in der Öffentlichkeit gezeigt. Es machte sie froh, daran zu denken. Der Richter hatte mit dem Hammer auf den Tisch geschlagen und mit einem breiten Lächeln auf den Lippen den Beschluss verkündet. Niemals würde sie vergessen, was er danach sagte:
Dies ist der einzige Gerichtssaal, in dem Menschen glücklich gemacht werden.
Wieder las sie in dem Adoptionsbeschluss: »Die Bedürfnisse und das Wohlergehen des Kindes werden durch die Genehmigung dieser Adoption sichergestellt. Alle Voraussetzungen der Adoption sind erfüllt.« Die Akte war geschlossen worden. Nie würde sie die Identität der leiblichen Eltern erfahren, die auf ihre elterlichen Rechte voll und ganz verzichtet hatten. Ihre schriftliche Einverständniserklärung war dem Gericht von Ellens Anwältin als Teil der Adoptionspapiere übergeben worden. Name und Adresse der Anwältin standen neben ihrer Unterschrift auf dem letzten Blatt.
Karen Batz. Ihre Kanzlei war nicht weit entfernt, in Ardmare. Ellen hatte sie als eine kluge und kompetente Rechtsanwältin erlebt, die ihr bei dem Adoptionsverfahren immer zur Seite gestanden hatte, ohne sie finanziell zu überfordern. Ihr Honorar von 30 000 Dollar war der festgelegte Satz für eine normale private Adoption. Karen hatte ihr erzählt, dass die leibliche Mutter sehr glücklich gewesen sei, jemanden gefunden zu haben, der die Mittel besaß und bereit war, sich um das kranke Kind zu kümmern. Ihre Chance, als alleinstehende Frau Will zugesprochen zu bekommen, hatte sich durch die Krankheit erhöht. Auch der Richter hatte die Besonderheit dieses Falles betont.
Es ist ein Glücksfall für alle Beteiligten.
Ellen hatte für die Kosten von Wills Behandlung in Höhe von 28 000 Dollar aufkommen müssen, das Krankenhaus hatte ihr aber erlaubt, die Summe in Raten zu zahlen. Gerade hatte sie die letzte Rate bezahlt. Dafür war
Will gesund und munter zu ihr gekommen, und jetzt waren sie eine glückliche Familie.
Sie seufzte erleichtert und verstaute Wills Ordner wieder in dem Schrank. Gedankenverloren blickte sie zu dem Gauguin-Plakat an der Wand. Sie hatte es selbst gerahmt. Die tropischen Blau- und Grüntöne faszinierten sie noch immer. Im Haus war es still. Draußen wehte der Wind. Die Heizung klopfte schwach, und in Wills Zimmer schnurrte der Kater. Alles war in bester Ordnung.
Dennoch - ihre Anwältin ging ihr nicht aus dem Kopf.
16
Am nächsten Morgen zog sich Ellen gedankenverloren an - Sweater, Jeans, Cloggs, darüber ihren Daunenmantel. Ihr Haar war noch nass vom Duschen, und sie hatte ihren Lidschatten vergessen. Sie war müde und missgelaunt. Die ganze Nacht hatte sie mit Grübeln verbracht.
»Du gehst schon?«, fragte Connie, als sie ihren Mantel aufhängte. Die Sonne schickte ihre wärmenden Strahlen durch die Fenster ins Wohnzimmer.
»Ja, Berge von Arbeit warten auf mich.« Warum log sie Connie an? Sie wusste es nicht. »Er hatte heute Morgen kein Fieber mehr, hat aber schlecht geschlafen. Ich würde ihn noch zu Hause behalten.«
»Wir gehen es locker an.«
»Okay. Danke.« Ellen nahm Handtasche und Aktenmappe und öffnete die Tür. »Ich habe ihm schon auf Wiedersehen gesagt. Er spielt im Bett mit seinen Legos.«
»So brav.«
»Mal was Neues. Bis später!« Ellen bemerkte, dass Connie ihr verwundert nachsah. In der kalten Luft zog sie den Mantel fester zu und hastete zum Wagen.
Zehn Minuten später parkte sie vor dem zweigeschossigen Bürogebäude hinter dem Suburban Square. Sie hatte in Karen Batz’ Büro von ihrem Handy aus angerufen, aber niemanden erreicht. So hatte sie beschlossen, bei ihr vorbeizuschauen. Die Kanzlei lag auf dem Weg in die Stadt. Sie hoffte, dass Karen sie empfangen würde. Selbst eine Feature-Reporterin wusste, dass man manchmal aufdringlich sein musste, um etwas zu erreichen.
Sie stieg aus und betrat das Gebäude durch die blaue Tür, die nie verschlossen war. Von der Empfangshalle im Kolonialstil ging eine Tür ab, die direkt in die Kanzlei führte. Aber sie sah völlig anders aus als bei ihrem letzten Besuch. Ein marineblauer Teppich lag auf dem Boden, es gab eine Couch im Paisleymuster und Stühle, an die sie sich nicht erinnern konnte. Ein muschelbesetzter Spiegel. An der großen Pinnwand hingen Surfer-Fotos; die
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