Fatal - Roman
und sah sich um. Er trug einen gerippten schwarzen Rollkragenpulli und eine elegante braune Hose. Ellen fragte sich, ob er von einem Date kam. »Wie lange wohnst du schon hier?«, fragte er.
»Ungefähr sechs Jahre.« Ellen strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht - wie die sich nach ihrer schonungslosen Föhnaktion plus Einsatz von einem halben Pfund Festiger hatte befreien können, war ihr ein Rätsel. Sie hatte sich dreimal umgezogen, um sich schließlich für ihr traditionelles Outfit zu entscheiden: blauer Sweater mit weißem Top darunter, Jeans und Cloggs. Das hier war ein Arbeitsgespräch, mehr nicht. »Möchtest du eine Cola light?«
»Gern.«
»Nimm doch Platz.« Ellen deutete auf die katzenhaarfreie Couch.
»Wie wäre es vorher mit einer Hausbesichtigung?«
»Gut, aber nur ganz kurz.« Sie deutete verlegen zum Esszimmer. Seltsam: Er war tatsächlich bei ihr zu Hause, er stand ganz dicht neben ihr! Nur nicht wieder in Ohnmacht fallen!
»Spricht für sich selbst, oder? Und hier meine winzige Kleinmädchenküche.«
»Sehr schön.« Marcelo folgte ihr, die Hände locker hinter dem Rücken verschränkt. »So warm und freundlich.«
»Und sauber.«
»Die bestechende Sauberkeit wollte ich gerade lobend erwähnen«, sagte Marcelo lächelnd.
»Danke.« Ellen nahm eines ihrer schönen Gläser aus dem Schrank und füllte es mit Eis und Soda. Oreo Figaro saß neben der Spüle und verfolgte die Vorstellung mit Interesse.
»Ich mag Katzen. Wie heißt sie?«
»Das ist ein Er. Oreo Figaro.«
»In meiner Heimat haben viele Menschen zwei Vornamen. Mein Bruder heißt zum Beispiel Carlos Alberto. In den Staaten ist das doch sonst nicht üblich.«
»Nein. Oreo Figaro ist übrigens Brasilianer.«
Marcelo lachte. »Ich wohne ja mitten in der Stadt. Da kann man sich keine Tiere halten.«
Ich weiß. Wir alle wissen das. Du bist der Latinlover, über den sich die ganze Stadt den Mund zerreißt.
»Ich spiele mit dem Gedanken rauszuziehen. Aber wo kann man hier Frauen kennenlernen?«
»Am Sandkasten.«
Marcelo lachte.
»Männer gibt es in diesem Viertel nur wenige. Die meisten sind Singles.«
Marcelo lachte wieder. »Ich hatte hier ein Blinddate. Kannst du dir das vorstellen?«
»Leider, ja. Wie war’s?«
»Furchtbar.«
»Das kenne ich. Man trifft sich mit einem furchtbaren Zeitgenossen in einem furchtbaren Restaurant und führt dort furchtbare Gespräche miteinander. Ist das nicht furchtbar?«
Marcelo lachte wieder. »Es freut mich, dass es dir wieder besser geht.«
Wenn ich aufgeregt bin, mache ich immer Witze.
»Ich habe richtig Angst bekommen, als du so plötzlich umgekippt bist.«
Ellen wurde warm ums Herz. »Dank dir, dass du dich so nett um mich gekümmert hast.«
»Das war nicht meine Absicht. Ich wollte nach Hause, und du lagst mir im Weg.«
Ellen lachte, und Marcelo trank einen Schluck Cola.
»Jetzt aber zu deiner Mail.«
»Ja.«
»Bitte, erklär’s mir.«
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»Seien wir ehrlich zueinander. Du bist sehr zuverlässig. Du hältst immer die Termine ein. Du hattest voriges Jahr keinen einzigen Tag Urlaub. Ich habe nachgesehen. Und auf einmal fällst du in Ohnmacht und willst dir aus einem dubiosen Grund für längere Zeit freinehmen.« Marcelo blickte zur Seite, dann sah er sie wieder an. »Ich will dir
etwas sagen. Normalerweise behalte ich mein Privatleben für mich. Aber bei meiner Mutter wurde kürzlich Brustkrebs festgestellt. Sie ist zu Hause in Pinheiros. Die Chemotherapie macht sie sehr müde.«
Ellen hatte das Gleiche mit ihrer Mutter durchgemacht. »Das tut mir leid.«
»Danke. Falls du diese Krankheit hast oder eine andere … Sei versichert, dass ich es für mich behalte.«
Ellen war gerührt. »Nein, ich habe keinen Krebs.«
»Hast du eine andere Krankheit?«
Ellen wusste nicht, was sie sagen sollte. Er war so besorgt, dass die Versuchung groß war, irgendeine Krankheit zu erfinden. Eine Lüge und sie wäre aus dem Schneider.
»Hast du Probleme mit Drogen oder Alkohol? Es gibt für alles Hilfe.«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Was ist es dann? Bin ich zu neugierig? Ich mache das doch nur, um dir zu helfen. Ich muss Leute entlassen und tue alles, damit du deinen Job behältst. Aber ein Urlaubsantrag zu diesem Zeitpunkt ist sehr unklug.« Marcelo schüttelte den Kopf.
»Ich brauche die freien Tage, um etwas Persönliches zu regeln. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
Marcelo war die Enttäuschung anzusehen. »Das ist alles?«
Ellen
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