Fatal - Roman
vorher umgebracht.«
»Ich habe aber keine Louisa. Das hier ist allein meine Show. Ich kann nicht so tun, als wäre nichts geschehen.«
»Hast du es denn versucht?« Ron lächelte ein wenig.
»Das versuche ich, seit ich diesen Flyer in der Post gefunden habe.«
»Lass dir Zeit. Vielleicht sieht nächstes Jahr oder schon nächsten Monat alles anders aus.«
Ellen schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht so gebaut. Wenn an einer Jacke ein Faden raushängt, muss ich ihn abreißen. Wenn der Fußboden schmutzig ist, muss ich ihn putzen. Ich kann nicht so tun, als wäre er sauber.«
Ron lachte.
»Ich brauche Klarheit. Und zwar sofort.«
»Dann wünsche ich dir viel Kraft.«
»Danke.« Ellen gelang es zu lächeln. »Ich gehe besser. Will mag keine fliegenden Affen.« Sie kannte den Film auswendig.
»Wer mag schon fliegende Affen?«, sagte Ron und sah ihr besorgt nach.
41
Am Nachmittag baute sie mit Will ein farbenprächtiges Schloss aus Legosteinen. Auch als Knetkünstlerin versuchte sie sich mehr schlecht als recht. Zum Abendbrot gab es vegetarische Sojaburger. Will deckte den Tisch, wie ein beflissener Piccolo rannte er hin und her. Der mollige
Kater lag ausgestreckt auf dem Boden, und der Herd strahlte eine wohlige Wärme aus. Wie ein Refugium kam Ellen ihre Küche vor.
»Heute gibt es eine Überraschung als Nachtisch«, sagte sie. Will verzog das Gesicht. Der Dreijährige schien ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Qualität des Desserts zu haben.
»Was ist es denn?«
»Wenn ich es dir sage, ist es keine Überraschung mehr.«
»Haben wir kein Eis?«
»Es schmeckt besser als Eis. Wart’s ab.« Ellen räumte den Tisch ab und stellte das Geschirr in die Spüle. Sie holte das Dessert aus dem Kühlschrank und platzierte es auf dem Esszimmertisch.
»Iiih, Mama!« Will rümpfte die Nase. Was blieb ihm beim Anblick dieser giftgrünen Masse anderes übrig?
»Probier’s doch wenigstens. Das ist Wackelpudding in deiner Lieblingsfarbe.« Ellen hatte gestern Abend auf der Website der Bravermans noch einmal nachgesehen: Timothy hatte grünen Wackelpudding geliebt. Soviel sie wusste, hatte Will nie welchen gegessen. Sie wollte sehen, ob er ihm schmeckte. Das war zwar noch kein wissenschaftlicher Versuch - aber mindestens so viel wert wie eine juristische Hypothese.
»Ist das Spinat?«
»Nein, Waldmeister.«
»Was ist Waldmeister?«
»Eine Pflanze.«
»So was esse ich nicht.«
»Hast du noch nie grünen Wackelpudding probiert?«
Will schüttelte den Kopf. Er beäugte das Dessert mit Argwohn. »Roten habe ich gegessen. Der war gut.«
»Rot ist Kirsche.«
»Hast du roten?«
»Nein, nur grünen.«
»Bitte, Mama, roten!« Will sah sie mit seinem flehentlichen Kinderblick an.
»Das nächste Mal. Heute bleibt’s bei Grün.«
Will kniete sich auf seinen Stuhl, beugte sich über die Schale und roch an ihr. »Warum riecht es nicht?«
»Probier ihn, und sag mir, ob er dir schmeckt.«
»Magst du ihn?«, fragte Will.
»Keine Ahnung. Ich habe ihn auch noch nie gegessen.« Ellen hasste Wackelpudding. »Aber ich probiere gern einmal etwas Neues.«
»Warum sieht er so komisch aus?«
»Du musst den Löffel hineinstecken und dann ein bisschen schütteln.«
Will kicherte. »Es wackelt! Es wackelt!«
»Siehst du. Das ist doch lustig.« Ellen gab ihm etwas auf den Teller. Als er den Löffel mit der grünen Masse zum Mund führte, hielt sie den Atem an.
»Jetzt aber runter damit.«
»Muss ich?«
»Bitte.«
Will erfüllte Ellens Wunsch und blieb für eine Weile stumm.
»Na, wie schmeckt’s?«
»Sehr gut!«, antwortete er mit vollem Mund.
42
Ellen verbrachte den Abend in ihrem Arbeitszimmer und versuchte herauszufinden, ob Will Timothy war oder nicht.
War es nicht absurd, einer Frage nachzugehen, vor deren Beantwortung man sich fürchten musste? Egal. Ellen nahm sich vor, nur noch in Etappen zu denken. Bei der ersten Etappe musste sie die Wahrheit herausfinden. Danach konnte sie entscheiden, ob sie Will behielt oder nicht. Und vielleicht war Will gar nicht Timothy! Sie griff nach ihrem Handy und rief Connie an.
»Hallo, El, wie geht’s?«
»Danke, gut. Connie, ich habe einen Anschlag auf dich vor. Ich muss wegen eines Artikels für ein paar Tage weg.« Ellen hasste es zu lügen. Aber noch nicht einmal Connie konnte sie die Wahrheit sagen. »Könntest du einspringen?«
»Klar. Wohin fährst du denn?«
»Das weiß ich noch nicht genau. Ich bin da an einer großen Sache dran. Es geht leider nicht anders.«
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